Kritik zu Der Exorzismus von Emily Rose

© Sony Pictures

»Wir schalten zurück ins Mittelalter.« Mit diesen Worten kündigte ein Sprecher von Rias Berlin einen Radiobeitrag über eine bayerische Pädagogikstudentin an, die am 1. Juli 1976 an den Folgen einer Teufelsaustreibung gestorben war. Die beiden Priester, die den vom Bischof genehmigten Exorzismus durchgeführt hatten, wurden zu hohen Geldstrafen verurteilt. Der Fall erregte internationales Aufsehen – und ist jetzt in Hollywood gelandet

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30 Jahre nach dem »Exorzismus« greifen Scott Derrickson und sein Drehbuchautor Paul Harris Boardman in einem dämonischen Thriller zurück auf die »wahre Geschichte« der Anneliese Michel – so der Name der damals 23-jährigen Studentin aus Klingenberg am Main. Obwohl die Handlung aus der fränkischen Provinz in die USA verlegt wurde, orientiert sich der Film in markanten Zügen an den dokumentierten Fakten. Wie Anneliese Michel stammt auch Emily Roseaus einem bäuerlichen, religiösem Elternhaus, das sie erstmals wegen ihres Studiums verlässt. Und wie die reale Anneliese hat auch Emily zu dieser Zeit ihren ersten Freund. Über die teuflischen Fratzen, von denen Emily angeglotzt wird, klagte bereits Anneliese in ihrem Tagebuch. Auch die Darstellerin Jennifer Carpenter ähnelt ihrem Vorbild, weswegen es nicht verwundert, dass die im Film immer wieder gezeigten Gerichtsfotos von Emilys zerschundenem Gesicht an jene grauenhaften Fotografien Anneliese Michels erinnern, die in einer pseudowissenschaftlichen Apologie abgedruckt wurden, um die Authentizität ihrer Besessenheit zu dokumentieren.

»Der Exorzismus von Emily Rose« schildert den Fall naturalistisch und mit einem Minimum spektakulärer Effekte und erscheint daher wie eine Art Antithese zu dem Horrorfilm »The Exorcist«, der knapp zwei Jahre vor Anneliese Michels Tod auch in deutsche Kinos kam. Neben Friedkins Meisterwerk (und seinem grauenhaften Prequel) kann Derricksons Film bestehen, weil er das Thema aus einer anderen Perspektive angeht. Während Friedkins Exorzisten gegen ein pubertierendes Mädchen kämpfen, das die Teufelsaustreiber durch drastische Obzönitäten mit ihren ureigenen »Dämonen« konfrontiert, wurde in Emily Rosedie psychologische Dimension geschickt ausgespart. Wir lernen weder Emilys Eltern richtig kennen, noch erfahren wir Näheres über die Kindheit und Jugend der Besessenen – obwohl das biografische Material über Anneliese Michel hier reichlich Stoff geboten hätte.

Der Kunstgriff besteht darin, Emilys Geschichte als Courtroom-Drama im Zuge gestaffelter Rückblenden zu rekonstruieren. Zu Beginn des Films ist die Austreibung bereits gescheitert. Der Exorzist Pater Moore ist ein spiritueller Versager, muss sich aber vor einem weltlichen Gericht verantworten, das ihn wegen fahrlässiger Tötung anklagt. Ausgerechnet eine Frau verteidigt ihn. Wurde der Exorzismus bei Friedkin aus der Sicht zweier Männer aufgerollt, so erlebt der Zuschauer nun die Besessenheit ganz aus der Perspektive einer Rechtsanwältin – wodurch dramaturgisch verschiedene Voraussetzungen entstehen. Während Merrin und Karras den Teufel typisch männlich attackieren wie Ahab seinen Moby Dick, fühlt die Anwältin Erin Brunner sich in diesen Fall immer tiefer ein. So wird diese Agnostikerin, eine toughe Karrierefrau, die trotz ihres leichten Alkoholproblems mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, in ihrer alltäglichen Umgebung von den »Dämonen« heimgesucht: Der Wecker bleibt nachts auf drei Uhr stehen, der Wasserhahn tropft, hinter dem Fenster ist ein Schatten, und ein Tonband schaltet sich »wie von Geisterhand« an ...

Trotz solch offensichtlicher Griffe in die Mottenkiste des Gruselfilms entsteht filmisch glaubhaft Bedrohung. »Der Exorzismus von Emily Rose«  geht mehr unter die Haut als jeder Zombie-Schocker. Das liegt an der bemerkenswerten Pointe, die darin besteht, dass die Anwältin entgegen den Wünschen der Diözese, in deren Auftrag sie den Exorzisten verteidigt, die »Wahrheit« des Falles geltend machen kann. So gewinnt sie vor Gericht das Rededuell gegen den rational argumentierenden Staatsanwalt, für den Emilys Besessenheit nur Epilepsie ist. Der Film gipfelt in dem Paradox, dass er weniger über Katholizismus, Satan und Spiritualität vermittelt als etwa »The Exorcist« – trotzdem ist buchstäblich der Teufel los, weil die dämonische Besessenheit auf Grund des Freispruchs, den Erin bewirkt, nicht mehr »verteufelt« wird.

Diese teuflische Wendung funktioniert allerdings nur, weil die von Laura Linney mit bemerkenswerter Intensität gespielte Anwältin Erin Brunner als Figur überzeugt. Sie ist der Garant, dass dem Film die Balance zwischen Realismus und Fantastik gelingt. Der Zuschauer versteht, ohne zu verstehen, dass Erins panikartige nächtliche Angstattacken eine hysterische Identifizierung mit Emilys Besessenheit ist: Ein Fall wie aus dem Geschichtsbuch, wo die Nonnen von der Besessenheit einer ihrer Schwestern reihenweise angesteckt wurden.

Die dämonische Besessenheit als Allegorisierung weiblicher Sexualität wirkt bedrohlich, weil sie nie auf einen simplen psychologischen Nenner gebracht wird. Sie spiegelt sich unter anderem in der besonderen visuellen Intensität, die der Film durch seine bemerkenswerte Farbdramaturgie erzeugt. Die orangefarbene Tapete, die Emily von der Wand kratzt, steht für Horror, und die weiß-graue Schneelandschaft um ihr Haus repräsentiert Hoffnung. Von einigen inkonsequenten Szenen abgesehen, in denen das suggestive Prinzip »Du sollst dir kein Bildnis machen« gebrochen wird, erzeugt der Film durchaus »Sympathy for the Devil«.

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