Kritik zu Deine Schönheit ist nichts wert

© Barnsteiner

Unsentimental und realistisch zeigt Hüseyin Tabak den Mikrokosmos eines Immigrantenwohnblocks in Wien. Mittendrin der junge Veysel, der trotz
Rückschlägen seinen Platz in dieser Gemeinschaft finden will

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Veysel bewegt sich zwischen Tagträumerei und Wirklichkeit. Er ist mit seiner Familie vor einem halben Jahr aus der Türkei nach Wien emigriert, da sein Vater, ein Kämpfer für die Rechte der Kurden, dort im Gefängnis saß. Der Junge gehört eher zu den schüchternen und nimmt selten die Gelegenheit wahr, die deutsche Sprache zu sprechen. Seine Lehrerin wartet schon seit geraumer Zeit darauf, dass Veysel ein Gedicht vorträgt. Hier kommt jetzt der anatolische Sänger Âşık Veysel ins Spiel, nach dem der Vater seinen Sohn benannt hat. Der Sänger, gestorben 1973, steht bis heute für die türkische Identität. Selbst der taffe türkische Nachbar ist angerührt von dem Gesang, der ihm schon so lange verklungen schien. Er übersetzt für Veysel das Liebeslied »Deine Schönheit ist nichts wert«, damit er es in der Schule vortragen kann. Stets hat Veysel seine Angebetete aus seiner Klasse vor Augen, der er das Gedicht widmen wird, und die im selben Häuserblock lebt wie er. Ana beobachtend, tragen Fantasien den Jungen immer wieder weit weg von der Realität, die schwierig genug ist, da der große Bruder im Streit die Familie verlassen hat und obendrein die Abschiebung droht.

Der deutschtürkische Regisseur Hü­seyin Tabak kennt die Migrantensituation nur zu genau. Mit scharfem Blick und ohne Rücksicht auf Allgemeinplätze skizziert er eine Nachbarschaft, in der hauptsächlich Ausländer leben. Wie auch in seinem Kinderfilm Das Pferd auf dem Balkon (2012) blickt er von oben auf die klar ummauerten Hinterhofereignisse und zeigt uns idyllische bis tragische Begebenheiten, die sich hier abspielen. Mit ihm blickt auch Veysel hinab auf das Mädchen seiner Träume. Auch sie ist Migrantin, aber schon so lange hier, dass man es ihr kaum mehr anmerkt. Aber der Hinterhof gibt nur vor, ein geschützter Raum zu sein, immer wieder brechen die Sozialarbeiter mit schlechten Neuigkeiten herein. Manchmal aber kann man ganz ruhig auf der Bank sitzen und den Geräuschen der Nachbarn lauschen.

Veysel beobachtet die Ereignisse um sich herum mit staunenden Augen und würde sich gern verständlich machen können. Die Sprachhürden werden für uns ganz direkt nachvollziehbar, da der Film, da wo türkisch gesprochen wird, mit Untertiteln arbeitet. In dem Moment als Veysel der Traurigkeit seines Vaters etwas entgegensetzen will, trägt er ihm sein Gedicht auf Deutsch vor, ein sehr anrührender Moment, vor allem weil wir erwarten, dass er es seiner Freundin vor der Klasse aufsagen würde, aber es funktioniert auch zwischen Vater und Sohn. Âşık Veysels Liebeslied schlägt aus einer fernen Heimat Brücken in das neue Leben, egal ob zu den Kurden, den Türken, alteingesessenen Migranten oder ganz frisch in Wien gelandeten Familien. Mit dem Film hat Tabak 2012 sein Regiestudium an der Wiener Filmhochschule abgeschlossen und gleich den Österreichischen Filmpreis 2014 gewonnen.

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