Kritik zu Das Mädchen Hirut

Trailer OmeU © Verleih

Geschichte einer Brautentführung: Der äthiopische Regisseur Zeresenay Berhane Mehari rekonstruiert einen Fall, der vor zwanzig Jahren in seinem Heimatland für großes Aufsehen sorgte und die Gesetzgebung veränderte

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Als die 14-jährige Hirut (Tizita Hagere) aus der Schule über die Wiese nach Hause geht, nähert sich ihr im Galopp eine Gruppe berittener und bewaffneter Männer. Sie umkreisen das Mädchen mit ihren Pferden, bis einer der Reiter sie auf den Sattel zieht und mit ihr und den anderen davonreitet. Im Nachbardorf wird Hirut in einen Stall gesperrt und später von ihrem Entführer vergewaltigt – so wie es die Tradition in den ländlichen Regionen Äthiopiens auch noch im Jahre 1996 vorsieht. Gesetzlich ist diese sogenannte »Telefa« zwar verboten, aber dem Täter droht keine Strafverfolgung, wenn er danach verspricht, das Mädchen zu heiraten. In Das Mädchen Hirut rekonstruiert der äthiopische Filmemacher Zeresenay Berhane Mehari einen Fall, der vor zwanzig Jahren in seinem Heimatland für großes Aufsehen sorgte. Hirut gelingt am anderen Tag die Flucht aus der Gewalt der Brautentführer. Als diese sie verfolgen, erschießt sie in Panik ihren Peiniger mit dessen Maschinengewehr. Der Staatsanwalt fordert die Todesstrafe, aber die junge Anwältin Meaza Ashenafi (Meron Getnet), eine Frauenrechtlerin, nimmt sich des Falles an. Auch wenn die Notwehrsituation des minderjährigen Mädchens eindeutig erscheint, sind die Chancen auf einen Freispruch in der patriarchalen Rechtsprechung sehr gering.

Das Mädchen Hirut zeigt nicht nur als klassischer Gerichtsfilm den juristischen Kampf um Gerechtigkeit, sondern auch die familiären und sozialen Hintergründe auf dem Lande. Die Eltern befürchten die Ächtung durch die Dorfbewohner. Der offiziellen Gesetzeslage steht hier die Rechtsprechung des örtlichen Ältestenrates gegenüber, bei dem der Vater des Ermordeten Entschädigung für den verlorenen Sohn einklagt. Es ist dem Film hoch anzurechnen, dass er diese tradierte Form der Konfliktbewältigung nicht an den Pranger stellt. Sie wird mit einem gewissen Respekt und einem genauen Blick für die Widersprüche behandelt, ohne deren patriarchalen Strukturen und frauenfeindlichen Implikationen infrage zu stellen. Die Anwältin kämpft nicht nur vor Gericht für die Freiheit des Mädchens, sondern auch auf politischer Ebene, indem sie Beziehungen spielen lässt und in der Öffentlichkeit vor den Medien Druck aufbaut. Der Film, der vor allem von seinen beiden hervorragenden Hauptdarstellerinnen getragen wird, ist fast schon ein Lehrstück in politisch-emanzipatorischem Engagement.

Das Mädchen Hirut wurde in Sundance uraufgeführt und unter der schützenden Hand von Angelina Jolie koproduziert. Dennoch richtet sich der Film nicht vornehmlich an ein Weltmarktpublikum. Mit durchaus didaktischem Duktus spricht Regisseur Mehari direkt die äthiopische Gesellschaft an. Dort wurden die Gesetze nach dem Freispruch Hiruts reformiert. Das feiert der Film, dessen Produktion von der äthiopischen Regierung unterstützt wurde, gebührend als verdienten politischen Sieg – auch wenn Brautentführungen und Zwangsverheiratungen in den polizeilich unterversorgten ländlichen Regionen heute noch nicht gänzlich abgeschafft sind.

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