Kritik zu Das Fremde in mir

© Ventura

Emily Atef, Absolventin der DFFB in Berlin, hat ein leises Drama über das weibliche Tabuthema des Babyblues gedreht

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Rebecca ist eine schöne junge Frau in guter Hoffnung. Wenn die Floristin in völliger Gemütsruhe Blumen zu einem Strauß steckt und ihren runden Bauch streichelt, verkörpert sie ein strahlendes Madonnenbild. Von der neuen, hübschen Wohnung bis zum liebevollen Kindsvater in spe scheint die Welt, in die ihr Sohn Lukas hineingeboren wird, wohlgeordnet. Doch am Tag der Bescherung kippt das Bild: Kaum ist das Neugeborene da, empfindet die zuvor so selig in sich Ruhende keine Freude mehr. Und während die Besucher das Baby knuddeln und in Babysprech verfallen, zeigt die neugeborene Mutter keinerlei Zärtlichkeit. Sie hält den Säugling weit von sich, wie eine geschenkte Vase, von der sie nicht weiß, wo sie sie hinstellen soll. Das fällt zunächst kaum jemandem auf, doch nach einigen Wochen heimlicher Qual flieht Rebecca und wird im Wald aufgegriffen.

Es war an der Zeit, dass der sogenannte Babyblues, der laut Statistik immerhin zehn bis 20 Prozent aller Mütter zeitweise im Griff hat, im Film dargestellt wird. Die postnatale Depression, über die kaum eine der Betroffenen spricht, scheint eines der letzten Tabus eines Frauenlebens. So herrscht auch im ersten Teil des Dramas vonseiten Rebeccas völlige Sprachlosigkeit; erst in der anschließenden Therapie macht sie ansatzweise den Versuch, ihren Gefühlen auf die Spur zu kommen. Doch nur diese Szenen haben eine aufklärerische Wirkung, ansonsten verzichtet die leise und bedachte Inszenierung bewusst auf einen platten Ursache-Wirkung-Mechanismus. Ob die Depression nun durch Hormonschwankungen oder psychologisches Unbehagen über den Verlust ihrer Autonomie und den Druck gesellschaftlicher Erwartung ausgelöst wird, lässt das intime Porträt ebenso in der Schwebe wie Gedanken darüber, ob der Mutterinstinkt angeboren oder ein kulturell erworbenes, von außen gefordertes Verhaltensmuster ist. Rebeccas »Vorwurfsgesicht«, wie ihr entnervter Ehemann meint, und ihre Erschöpfung und Apathie vor ihrem Zusammenbruch können sowohl Scham über ihr »Versagen« in ihrer Mutterrolle als auch eine echte Psychose sein, die angesichts der neuen Verantwortung aufbricht. Und es gibt Momente, in denen sie den Säugling badet, in denen man kurz den Atem anhält.

Aber natürlich spekuliert man trotzdem über die Gründe dieses Mutterunglücks, wobei auffällt, dass Rebecca sich selbst wie ein Kind verhält. Zusätzliche Dramatik gewinnt die Handlung ausgerechnet, nachdem sie ihre Depression überwunden hat: Wo ihr Ehemann zuvor in die Bresche gesprungen ist und sich als vorbildlich bemutternder Vater bewiesen hat, schlägt plötzlich der Schwiegervater böse Töne an. Da kommt zusammen mit dem Rabenmuttervorwurf plötzlich ein »Die Hand an der Wiege«-Touch ins Spiel, der zeigt, dass die mütterliche Ablehnung ihres Kindes in einem patriarchalischen Weltverständnis nicht nur ein ungehöriges, sondern ein ungeheuerliches Vergehen ist, das bestraft werden muss.

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