Kritik zu Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft

© Warner Bros. Pictures

Sie hat das »kleine Schwarze« und »Nummer 5« erfunden und der verzierungssüchtigen Frauenmode des 19. Jahrhunderts ein Ende bereitet. Anne Fontaine beschreibt in ihrem Film die frühen Jahre der Gabrielle Chanel, aus der dann »Coco« wurde

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Es ist eine Szene, wie man sie schon zig Mal auf der Leinwand gesehen hat: Zwei Liebende betreten eine Hotelsuite und beginnen, sich gegenseitig die Kleider vom Leib zu reißen. Dann allerdings hört man den Mann begeistert sagen: »Es ist so schön einfach, dich auszuziehen!« Die Szene spielt irgendwann in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, und bei der Frau handelt es sich um Coco Chanel, die da gerade ihre Karriere als Modeschöpferin beginnt. Man weiß, Coco Chanel hat die Frauen ihrer Zeit aus den Einschnürungen der Korsetts befreit. Selten hat ein Biopic die Essenz eines Wirkens auf so bestechend intime Weise illustriert.

Denn eigentlich ist das die schwerste Übung, die ein Biopic zu bewältigen hat: Von den »definierenden Momenten« im Leben einer berühmten Person zu erzählen, ohne ins plumpe Anekdotenbebildern zu verfallen. Etwa zu zeigen, wie Coco Chanel in einer Parfümwerkstatt an einem Versuchsfläschchen mit der Nummer 4 riecht und sich abfällig äußert, um dann zur Nummer 5 zu kommen . . . Jan Kounen macht das so in seinem »Coco & Igor«, dem zweiten Chanel-Biopic dieses Jahres, das im Vergleich mit Anne Fontaines Film ein Negativbeispiel des Genres abgibt. Anne Fontaine dagegen ist eine Charakterstudie gelungen, die den schönsten Effekt hat, den ein Biopic eigentlich haben kann: Man interessiert sich nach dem Film mehr für die Figur als vorher.

Dazu trägt wesentlich die Entscheidung bei, nicht das ganze lange Leben einer der berühmtesten Frauen des 20. Jahrhunderts in den Blick zu nehmen, sondern sich auf den Anfang der Karriere zu beschränken, auf jene Jahre also, die darüber bestimmten, dass aus dem mittellosen Waisenkind Gabrielle, dem sich um 1900 als Aufstiegschance allenfalls das Kurtisanendasein bot, jene Coco wurde, die als Trendsetterin den Look des Jahrhunderts bis in die Schlafzimmer hinein prägte.

Fontaine gelingt es, diese Entwicklung einmal nicht vom Ergebnis her zu denken. In Audrey Tautous jugendlich unscharfer und Unsicherheiten zeigender Verkörperung ist sie noch weit weg von der entschlossenen Geschäftsfrau. Mit Anfang 20 weiß sie nur, was sie nicht will: nicht als Näherin arbeiten, denn damit ist kein Geld zu verdienen. Zur Caféhaussängerin, als die sie sich im Duo mit der Schwester versucht, fehlt ihr die Begabung. Und überhaupt will sie auch nicht als »ausgehaltene Frau« enden, obwohl es lange Zeit so aussieht, als sei das der einzige Ausweg aus ihrem Dilemma.

Sie trifft den Adligen Étienne Balsan (als wunderbare Kombination aus großzügigem Charmeur und Selbstherrlichkeit von Benoît Poelvoorde verkörpert), der eigentlich ein Glücksfall für sie sein wird, nur dass sie ihn im Moment des Kennenlernens ziemlich abstoßend findet. Und doch sieht sie sich bald gezwungen, sich ihm sogar aufzudrängen.

Dass das keine Liebesgeschichte ist, zeigt der Film mit fast frivoler Deutlichkeit und macht daraus einen »definierenden Moment«: Als sie beginnt, seine bequemen Männerkleider anzuziehen, ist das Ausdruck ihrer Sehnsucht, so unabhängig wie Balsan selbst zu leben, frei in der Wahl von Hobbys und Liebhabern. Erst später wird daraus ein Stil – und ein Geschäft.

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