Kritik zu Chamissos Schatten

- leider noch kein Trailer - © Real Fiction

2016
Original-Titel: 
Chamisso's Shadows
Filmstart in Deutschland: 
24.03.2016
L: 
192 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Ulrike Ottinger begibt sich auf die Spuren der Naturforscher und Entdecker des 18. und 19. Jahrhunderts und reist von Alaska über Tschukotka bis nach Kamtschatka

Bewertung: 5
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Schon als Kind, so erzählt Ulrike Ottinger, habe sie sich leidenschaftlich gern mit dem Finger auf der Landkarte in ferne Gegenden fantasiert. Später wurden richtige Reisen daraus. Und auch Ottingers Filmen sieht man immer wieder die Lust am Unterwegssein (vor allem in östlichen Regionen des eurasischen Kontinents) an. Das Interesse an Geschichte und am Geschichtenerzählen auch. Für ihre jüngste Expedition in die Region rund um Beringmeer und Beringstraße hat sie sich gleich explizit historische Reiseleiter unter den europäischen Entdeckern vergangener Jahrhunderte gesucht: Darunter der deutsche Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso, aus dessen Märchen »Peter Schlehmils wundersame Geschichte« Ottinger sich auch das Motiv für ihren Titel ausgeborgt hat. Georg Wilhelm Steller im Tross des Dänen Vitus Bering. Und James Cook. Sie alle versuchten, die sogenannte Nordwestpassage zwischen atlantischem und pazifischem Ozean im Norden des amerikanischen Kontinents zu finden.

Dort oben passieren in Zeiten der Klima­erwärmung sogar Kreuzfahrtschiffe. Doch der Weg hoch in die Tschuktschensee ist immer noch rau und voller Abenteuer. Die Landschaften sind immer noch spektakulär. Und die Region zwischen Ostsibirien und Alaska ist auch historisch aufgeladene und spannungsreiche Schnittstelle kolonialer und postkolonialer Kraftlinien und Beziehungen, wo schamanische Fischer verschiedener indigener Ethnien, russische Pelzjäger, orthodoxe Mönche, US-amerikanisches Kapital und globale Fischfirmen ihre Spuren hinterließen.

Dies zeigt Ulrike Ottingers Film eindrücklich in langen Totalen, sorgfältig komponierten Kamerafahrten und einer virtuosen Montage (Schnitt: Bettina Blickwede) aus eigenen Beobachtungen, Gesprächen, künstlerischen und handwerklichen Artefakten und historischen Reiseberichten. Nun kommt das insgesamt fast zwölfstündige auf dem Internationalen Forum der Berlinale uraufgeführte Breitwand-Epos in vier Teilen monatlich gestaffelt ins Kino. Der erste davon führt uns von Südalaska erst zur vorgelagerten Kodiak-Insel und dann mit einer alten Passagierfähre gemächlich entlang der Aleuten, um bei einer Eskimogroßmutter im westalaskischen Goldgräberort Nome zu landen, die ihren Enkeln traditionelle Kultur und Speisen näherbringen will: Robbenfett-Eiscreme und Lachsbeeren zum Beispiel.

Die zwei alten Lieder, die sie dem Filmteam spontan auf der Straße vorträgt, treiben die  Kinder aber erstmal fremdbeschämt davon. Sie sind – neben ein paar Tanzgesängen im Hintergrund – die einzige Musik in Ottingers Film, emotionalisierendes Begleitgedudel gibt und braucht es hier nicht. Dafür Sorgfalt der Inszenierung und viel Zeit zum genauen Hinschauen, sodass man sich immer wieder einbilden kann, selbst auf Reisen zu sein, wenn das Schiff aus den Meernebeln in einen Aleutenhafen gleitet und wir die Menschen fast in Echtzeit beim Aus- und Einsteigen beobachten können. Dazwischen Vulkane und Wolkenschluchten, Seeotterkolonien und von Ottinger selbst geschriebene Seeottermädchenmärchen. Und immer wieder das Meer und seine Produkte, mit dem und von denen die Menschen hier lebten und leben.

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