Kritik zu Censored Voices

© Real Fiction

2015
Original-Titel: 
Censored Voices
Filmstart in Deutschland: 
21.07.2016
L: 
84 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Was wirklich geschah: Die israelische Filmemacherin Mor Loushy bereitet in ihrem Dokumentarfilm lange zensierte Zeitzeugenaussagen von Soldaten nach dem Sechs-Tage-Krieg neu auf

Bewertung: 4
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Der Sechs-Tage-Krieg beförderte Israel im Juni 1967 in kürzester Zeit aus existenzieller Bedrängnis in ein euphorisiertes Selbstbewusstsein – und zu einem Staatsgebiet von fast dreifacher Größe. Siegestaumel überfiel das Land. Mittendrin, nur zehn Tage nach Kriegsende, zogen die jungen Kibbuzniks Amos Oz und Avraham Shapira (beide selbst Kriegsteilnehmer) durch verschiedene Kibbuzim, um dort für ein zuerst nur für den internen Gebrauch geplantes Gedenkbuch die gerade heimgekehrten Soldaten zu befragen. Dabei ging es ihnen weniger um faktische Dokumentation als um eine emotionale Bestandsaufnahme, die der öffentlichen Meinung verdrängte Gefühle und eine vielschichtigere Wahrheit entgegensetzen sollte.

Zwei Drittel des Materials wurden bald vom Militär gesperrt, ein zensierter Teil konnte im Oktober 1967 mit dem Titel »The Seventh Day« erscheinen und machte in Israel Furore, bevor er der kollektiven Verdrängung anheimfiel. Als die ausgebildete Filmemacherin und Geschichtsstudentin Mor Loushy bei ihrem Studium erstmals von diesem Buch erfuhr, machte sie dieses Verschweigen so wütend, dass sie mit Shapira Kontakt aufnahm und alle Kraft an eine filmische Veröffentlichung der damals zensierten Dokumente setzte. Letztes Jahr lief ihr Film dann erstmals auf verschiedenen Festivals.

In »Censored Voices« nun hört man Passagen der damals aufgezeichneten 200 Stunden aus dem Off, nur manchmal werden einige der Zeitzeugen kurz parallel zum Bandgerät mit den eigenen Aussagen platziert. Visuell begleitet werden sie sonst von ausdrucksstark ausgewähltem Archivmaterial, das allerdings oft so illustrierend bis suggestiv platziert ist, dass am Ende des Films ein Disclaimer erklären muss, dass es sich bei den Abgebildeten nicht um die erzählenden Personen handelt. Dazu referieren kurze Zitate aus zeitgenössischen Programmen des englischsprachigen Nachrichtensenders ABC den historischen Kontext.

Während wir das Leiden von arabischen Kriegsgefangenen und Flüchtlingen öfter deutlich sehen, können die Bilder nicht die von Machismen überdeckten Gefühle von Angst und Hilflosigkeit bei den israelischen Soldaten selbst illustrieren, von denen diese sehr freimütig in den Gesprächen berichten. Genauso wenig die fortschreitende seelische Entmenschlichung als Zeugen und Mittäter gezielten Tötens: tief verstörende, prägende Momente im Erleben der Einzelnen, auch wenn keiner die Berechtigung des Krieges an sich anzweifelt. Sind wir jetzt dazu verdammt, zu unserer Verteidigung jedes Jahrzehnt Dörfer zu bombadieren, fragt einer? Und was wird das mit uns machen?

Und das nur zwanzig Jahre nach dem Ende des letzten Weltkrieges. Dank der Anstrengungen von Oz und Shapira damals ist »Censored Voices« ein ganz besonderes und rares Dokument, das im Unterschied zu anderen Zeitzeugenbefragungen die Erfahrungen der Kriegsteilnehmer noch in der ungefilterten Betroffenheit aufnimmt. Im Vordergrund des Films steht dabei selbstverständlich der grundlegend neue Blick auf die Rezeption des Sechs-Tage-Krieges selbst. Doch »Censored Voices« ist auch ein erhellender Film über die Wirkung von Krieg im Allgemeinen.

Meinung zum Thema

Kommentare

Eine sehr gelungende und erhellende Doku über den 6-Tage-Krieg und seine Folgen. Ohne Pathos und Verherrlichung Israels

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