Kritik zu Brügge sehen... und sterben?

© Tobis

Colin Farrell und Brendon Gleeson spielen zwei Profikiller, die ins malerisch-verschlafene Brügge gesandt werden, um dort Urlaub zu machen

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Der Serienkiller als alternativer Held, als Agent provocateur gegen gesellschaftliche Heuchelei: dieses Phänomen hat, von Jack the Ripper bis zu Charles Manson, eine lange Tradition in der angelsächsischen Pop­historie. Im Kino ist daraus ein kleines Subgenre geworden, oft zwischen makabrem Witz und existenziellen Fragen schwankend; Chaplins »Monsieur ­Verdoux« und Irving Lerners »Murder by Contract« gehören zur Gattung. Mitte der neunziger Jahre generierte das Genre, angefeuert von Erfolgen wie »Das Schweigen der Lämmer« und »Pulp Fiction«, eine Welle kleiner düster-märchenhafter Filme wie »Das Leben nach dem Tod in Denver«. Bizarre Jungsfantasien waren diese Indieproduktionen oftmals, bei denen die meist jungen Regisseure selbst in Sachen Inszenierung den brillanten Killer geben konnten.

Auch »Brügge sehen...« ist das Spielfilmdebüt seines Regisseurs Martin McDonagh. Als richtigen Anfänger kann man ihn freilich nicht bezeichnen, er ist als Theaterautor schon recht erfolgreich gewesen und für seinen Kurzfilm »Six Shooter« hat er bereits den Oscar gewonnen. So ist denn auch sein erster langer Film eine Mischung aus Ideenüberschwang und versierter Abgeklärtheit. McDonagh, der pointierte Dialoge zu schreiben versteht, will richtig bad sein in seinem Film, das heißt, er will richtig gut sein auf eigene Art.

Zwei Engländer kommen in der Vorweihnachtszeit ins idyllische Brügge. In einem schmucken kleinen Hotel an einer Gracht ist für sie schon ein Zimmer reserviert. Die zwei Männer von der Insel, das sind der junge Ray, ein Hooligan mit Charme, und der ältere Ken, ein Mann mit Erfahrung. Die beiden, gespielt von Colin Farrell und Brendan Gleeson, sind natürlich keine Touristen, die Sehenswürdigkeiten betrachten wollen, sondern zwei Vertreter der Londoner Unterwelt, die in Brügge aufs Abstellgleis gestellt werden, weil sie ihren letzten Kontrakt vermurkst haben. Der junge Ray vor allem hat großen Mist gebaut: Er hat versehentlich einen kleinen Jungen erschossen. Ray, wie er von Colin Farrell gespielt wird, hat selbst noch etwas Jungenhaftes an sich.

Es ist also auch eine Erlösungsgeschichte, die uns McDonagh erzählt. Der Schauplatz Brügge, gleichsam der dritte Hauptdarsteller im Film, fungiert als Fegefeuer: malerisch-schön zwar, aber brennend langweilig. Ein Ort voller Zeichen: Ray und Ken begegnen den Gemälden von Hieronymus Bosch und verweilen in der Heiligblut-Basilika. McDonagh stellt Brügge einerseits als mythischen Ort dar, andererseits beschreibt er die Stadt ironisch als Touristenattraktion. Und in dieser Hinsicht darf Ray das Fegefeuer aufmischen. Er rüpelt übergewichtige Amerikaner und pingelige Nichtraucher an. Amerikaner hasst Ray, der heimliche Moralist, sowieso, weil sie an John Lennons Tod schuld seien und den Vietnamkrieg zu verantworten hätten.

Zum süffigen Ami-Bashing gesellt sich heftige Belgier-Schelte: die hätten schließlich nur Schokolade und Kinderschänder hervorgebracht. Hier kokettiert McDonagh recht aufdringlich mit einem Arthouse-Publikum, das auf abgesicherte Schenkelklopfer aus ist. In manchen Passagen droht der Film zum Feel-Good-Movie der bösen Buben zu verkommen, das seine scheinbare politische Unkorrektheit protzig ausstellt. Auch tappt McDonagh in typische Fallen des Killerfilmgenres der Neunziger: erzählerische Knotenpunkte, die nach der aberwitzigen Pointe hecheln. So scheint es die Lovestory zwischen Ray und einem Mädchen nur zu geben, um einen witzigen Dialog anzubringen: Die zwei sympathischen jungen Leute fragen sich gegenseitig, was sie so machen. Sagt das Mädchen, sie sei Drogendealerin. Antwortet Ray, er sei Berufs­killer. Daraufhin kokettes Lächeln, weil natürlich keiner dem anderen glaubt.

Dass der Film dann doch wieder die Kurve kriegt, verdanken wir dem beeindruckenden Spiel von Farrell und vor allem von Brendan Gleeson. Letzterer überzeugt als alter Exilkiller, der den Teufelskreis des Mordens durchbrechen und endlich mal jemanden retten will. Tragikomisch agiert Gleeson wie ein gnädiger Unterweltgott, der Ray schließlich starrköpfig verteidigt gegen den ganz großen Gangsterboss aus London, den Ralph Fiennes als Parodie auf alle britisch-sadistischen Kriminellen gibt. So findet am Ende in Brügge ein absurder Totentanz statt, den McDonagh brillant in Szene gesetzt hat.

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