Kritik zu Almanya – Willkommen in Deutschland

© Concorde

Multikulti ist vorbei? Selten hat man die Geschichte der deutschtürkischen Verhältnisse so einfühlsam und humorvoll zugleich gesehen wie im Kinodebüt der Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Alle sollen es so machen wie Mesut Özil. Der kleine deutsch-türkische Wunderdribbler in Diensten von Real Madrid gilt hierzulande bekanntlich als neues Vorzeigebeispiel für Integration und Völkerverständigung. Die Kanzlerin mogelte sich im vergangenen Herbst sogar in seine Umkleidekabine und ließ sich medienwirksam mit dem halbnackten Kicker beim Handshake fotografieren. So viel Kalkül torpedierte sie merkwürdigerweise ein paar Wochen später mit der Aussage: »Multikulti ist in Deutschland gescheitert.« Oder doch nicht? Die Schwestern und Filmemacherinnen Yasemin und Nesrin Samdereli liefern nun den aktuellsten Beitrag zur Integrationsdebatte, der sie vielerorts mit der unvermeidlichen Frage konfrontiert, ob sie mit ihrer Kunst wohl ähnlich verbindende Qualitäten wie Mesut Özil haben.

Die beiden Deutsch-Türkinnen aus Dortmund arbeiten sich in Almanya zunächst an bekannten, aber dennoch originellen Stilmitteln und Gags einer Ethno-Clash-Comedy ab, in der Klischees und Bräuche ironisch überhöht werden: Als Hüseyin (Vedat Erincin) nach 45 Jahren Aufenthalt endlich Anspruch auf einen deutschen Pass hat, begegnet ihm der Beamte der Einbürgerungsbehörde im Traum. Bedingungen für die deutsche Staatsbürgerschaft: Mitglied in einem Schützenverein werden, zweimal die Woche Schweinefleisch essen, jeden Sonntag »Tatort« gucken und alle zwei Sommer nach Mallorca reisen. Schweißgebadet schreckt der rüstige Senior hoch, im Alptraum trug seine Frau Fatma (Lilay Huser) plötzlich Dirndl und redete Bayerisch.

Doch »Almanya« ist nicht nur eine Bestandsaufnahme der deutsch-türkischen Eigenarten, sondern primär die Geschichte einer Einwandererfamilie in Zeiten des Wirtschaftswunders. Erzählte Fatih Akin in »Solino« noch von der ersten italienischen Pizzeria im Ruhrgebiet, geht es hier um den 1.000.001sten Gastarbeiter (der junge Hüseyin wird von Fahri Yardim gespielt), der aus einem anatolischen Dorf in das Land kommt, »wo es nur Kartoffeln gibt«. Die Sprachbarriere visualisieren die Samdereli-Schwestern mit einem künstlerischen Trick, der zugleich ein Zitat ist: Wie in »Der grosse Diktator« von Charlie Chaplin hört der türkische Neuankömmling die deutsche Sprache als gebelltes Kauderwelsch aus kantigen Lauten und aggressiven Konsonanten, das sich mit den Jahren mehr und mehr aufweicht.

Ohnehin ist es wunderbar anzuschauen, wie der Film über persönliche Themen wie Heimweh, kulturelle Identität oder den Wert der Familie sinniert, ohne dabei sentimental oder oberflächlich zu wirken. »Almanya« ist randvoll mit Episoden und Beobachtungen, wie Multikulti anno 2011 in Deutschland aussieht, dennoch sollte man der Versuchung widerstehen, den Film für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Angela Merkel hat hier ohnehin bereits einen kleinen Auftritt, als sie ausgewählte Einwanderer zum Empfang nach Schloss Bellevue einlädt. Für das Lob von höchster Qualität lässt sich statt eines Deutschen denn auch besser noch ein Schweizer zitieren: »Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen«, sagte einst der Schriftsteller und Citoyen Max Frisch.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt