Cannes-Blog

Barbara Schweizerhof

Wenn in den kommenden Tagen Jungstars wie Robert Pattinson auf Idole wie Iggy Pop treffen und Hollywood-Adel wie Brad Pitt und Leonardo di Caprio sich vor europäischen Eminenzen wie Isabelle Huppert verneigt – dann weiß man, es ist Festival in Cannes. Am Dienstagabend geht es los mit der Premiere des neuen Films von Jim Jarmusch, »The Dead Don't Die«, in dem Adam Driver und Bill Murray zwei Provinzpolizisten spielen, die es mit Zombies zu tun kriegen.

Barbara Schweizerhof

Die stärkste emotionale Reaktion ging diesmal nicht von einem dankbaren, gerührten Preisträger aus, sondern von einer Schauspielerin, die im Wettbewerb dieses 71. Filmfestivals von Cannes gar nicht angetreten war. Die Italienerin Asia Argento sollte den Darstellerinnenpreis mitvergeben, feuerte aber statt der üblichen, vom Teleprompter abgelesenen Laudatio ein selbst formuliertes Statement ab: »1997 bin ich von Harvey Weinstein hier in Cannes vergewaltigt worden. Ich war 21 Jahre alt.

Barbara Schweizerhof

Mit der Vergabe der Goldenen Palme an den japanischen Regisseur Hirokazu Kore-eda für sein Familiendrama »Shoplifters« ging am Samstag das 71. Filmfestival von Cannes zu Ende. Den Grand Prix verlieh die Jury unter Vorsitz der australischen Schauspielerin Cate Blanchett an den Amerikaner Spike Lee und seine Satire über einen Afroamerikaner, der den Klu Klux Klan unterwandert, »BlacKkKlansman«.

Barbara Schweizerhof

An Vielfalt herrschte kein Mangel: Filme, die mit mehrminütigen Jubel-Ovationen begrüßt wurden und Filme, denen scharenweise das Publikum davonlief. Solche, über die heftig gestritten wurde und solche, die völlig kalt ließen. Und es gab den neuesten Film von Lars von Trier, der mit seinen ausführlichen Gewaltszenen doch noch echte Erschütterungen auslöste bei einem Festival-Publikum, das von sich denkt schon alles gesehen zu haben. Es lief also eigentlich alles gut auf diesem 71. Filmfestival in Cannes, dem so viele eine Krise nachsagen.

Barbara Schweizerhof

Die Legende erzählt, dass genau hier, an der Croisette von Cannes, das Phänomen »Star Wars« geboren wurde. Ein junger George Lucas war im Mai 1971 mit seinem Spielfilmdebüt »THX 11 38« in die Nebenreihe der Quinzaine des Réalisateurs eingeladen und nutzte die Gelegenheit, um für seine nächste Ideen Produzenten zu finden. Der damals im Hotel Carlton getätigten Deal mit United Artists sollte sich zwar später wieder zerschlagen, aber für Lucas war es der Moment, an dem seine »Weltall-Oper« abzuheben begann.

Barbara Schweizerhof

Fast 30 Jahre ist es her, dass Spike Lee mit einem Film im Wettbewerb von Cannes angetreten ist. Damals, 1989, wurde sein »Do the Right Thing« als großer Favorit auf die goldene Palme gehandelt – und ging am Ende doch leer aus. Lee machte den Jury-Präsidenten Wim Wenders dafür verantwortlich und ließ sich zur Drohungen hinreißen: Er habe einen Baseball-Schläger im Schrank mit Wenders' Name drauf. Für die »unreifen Bemerkungen« hat sich Lee längst entschuldigt.

Barbara Schweizerhof

Er vergleicht das Kino mit einem »kleinen Katalonien, das um seine Existenz kämpfen muss« und findet, dass Filme das zeigen sollten, was »man nicht auf Facebook sieht«. Jean-Luc Godard, 87 Jahre alt, ist der große alte Mann des europäischen Kinos, einer der letzten Aktiven der Nouvelle-Vague-Generation und so sehr Legende, dass er noch nicht einmal selbst nach Cannes reisen muss, um das Festival in Atem zu halten.

Barbara Schweizerhof

Er ist einer der Regisseure der Stunde, und das ohne einen aktuellen Film im diesjährigen Programm von Cannes zu haben: Der 31-jährige Afroamerikaner Ryan Coogler hat mit seinem Marvel-Superhelden-Hit »Black Panther« nicht nur Kassenrekorde gebrochen, sondern die These widerlegt hat, dass mit einem Ensemble aus vorwiegend schwarzen Helden kein weltweites Geschäft zu machen sei.

Barbara Schweizerhof

Die Zeichen der Krise sind noch erkennbar, aber mit Festivalbeginn wird nun deutlich, wie Cannes in Zeiten von #Metoo und Post-Harvey-Weinstein auf seinem Status als »wichtigstes Filmfestival der Welt« bestehen will. Zwar muss der Eröffnungsfilm, Asghar Farhadis »Everybody Knows« eher als Enttäuschung verbucht werden, aber die markanten Auftritte der diesjährigen Jury-Präsidentin Cate Blanchett machten das fast im Alleingang wieder wett.

Barbara Schweizerhof

Für die einen ist es nur ein Event auf dem Roten Teppich, auf dem sich berühmte Menschen fotografieren lassen. Für die anderen aber steht der Ruf des Weltkinos auf dem Spiel, wenn am Dienstagabend zum 71. Mal das Internationale Filmfestival von Cannes eröffnet wird. Zu den Ritualen des Festivalbetriebs gehört es, zu Beginn eine Krise zu beschwören – am liebsten die des französischen Films –, die dann am Festivalende als widerlegt gelten kann.