Film und Wirklichkeit

Wettbewerb: »Eldorado«
»Eldorado« (2018). © Majestic/zero one film / Peter Indergand

Am vorletzten Tag des Festivals behauptete nun die Wirklichkeit ihr Recht neben der Fiktion. Mit »Eldorado« hat der Schweizer Filmemacher Markus Imhoof, nach Gianfranco Rosis »Fuocoammare«, der vor zwei Jahren hier den goldenen Bären gewann, erneut einen Dokumentarfilm über das Leid der Flüchtlinge in Italien im Wettbewerb außer Konkurrenz zeigen können. 

Natürlich ist auch ein Dokumentarfilm inszeniert, aber er bezieht seine Relevanz mehr aus dem erfahrbaren Geschehen als aus der Art und Weise der Inszenierung. Markus Imhoof hat sich nach seinem Film über das Bienensterben sehr persönlich mit dem Thema Flucht und Vertreibung beschäftigt. Er verbindet die Geschichte eines jungen Mädchens, das im zweiten Weltkrieg aus Italien von seiner Familie aufgenommen wurde, mit dem Schicksal der vielen afrikanischen Flüchtlinge, die seit Jahren im Sommer in Italien landen. Das Persönliche des Films überwiegt. Aber es gibt auch Momente der politischen Analyse, die Erik Poppes Spielfilm »Utøya 22. juli« über den Anschlag in Norwegen absichtlich fehlt. Beide Filme sind gleichermaßen ein Reflex auf unsere Realität, beide stellen Aufmerksamkeit her. Und wenn Imhoff am Schluss darauf hinweist, dass die Milch, die Europa nach Afrika exportiert, billiger ist als die, die ein zurückgekehrter Flüchtling mit seinen beiden Kühen dort produziert, dann ist zumindest eins klar: Wir wissen um die Gründe für Fluchtverhalten, wirklich etwas dagegen tun aber wollen wir nicht.

Wahre Geschichten wurden in diesem Jahr einige erzählt. Da war der Philippiner Lav Diaz, der mit seiner vierstündigen Anti-Rockoper »In Zeiten des Teufels«, die in brechtschen Moritaten von den Greuletaten der Marcos-Milizen berichtete und den Zuschauer schon durch die schiere Länge herausforderte. Oder der Brasilianer José Padilha, der die Entführung einer Air-France-Maschine nach Entebbe in einen Spielfilm verwandelte, der vielleicht deshalb, weil er so nah an dem wirklichen Geschehen blieb, so spannungslos war. Und dann natürlich die beiden biografischen Filme »Dovlatov« und »3 Tage in Quiberon«. Während Alexey German den russischen Dichter Sergeij Dovlatov in den siebziger Jahren in Leningrad zeigte, reduzierte Emily Atef ihre Betrachtung der öffentlichen und der privaten Romy Schneider auf 3 Tage an der bretonischen Küste. Tatsächlich ist die Ähnlichkeit zwischen Marie Bäumer und Romy Schneider ein Moment der Faszination dieses Films. Das Wirkliche lebt gut in der selbstbewußten Fiktion. Wenn Adina Pintilie ihren Film »Touch me not« aber absichtsvoll zwischen Dokumentation und Spielfilm ansiedelt, dann ist das eine formale Entscheidung. Ihr Ziel, herauszufinden, was Sexualität und Intimität mit einem Konzept von Liebe bzw. Freiheit zu tun haben, ist so leichter zu bewältigen. Und doch bleibt ein schales Gefühl zurück. Film lebt an der Grenze zwischen Sein und Schein. Wenn diese Grenze fällt, wird seine eigene Wahrheit diffus.

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