In bleiernen Zeiten

Wettbewerb: »Transit«
»Transit« (2018). © Schramm Film / Marco Krüger

Nach den ersten Tagen der Berlinale ist es sicher noch zu früh, ein Fazit über ihren Wettbewerb zu ziehen. Außer: Er kommt in Fahrt. Und es folgen, wie so oft, Höhen und Tiefen schnell aufeinander. Einem fulminanten Rachewestern aus dem irischen Hungerwinter des Jahres 1847 (»Black 47« von Lance Daly, außer Konkurrenz) stand eine ziemlich belanglose James-Headley-Chase-Verfilmung von Benoit Jacquot, »Eva«, gegenüber, in der ein Möchtegern-Schriftsteller (Gaspard Ulliel) einer Edelprostituierten (Isabelle Huppert) verfällt. Joseph Losey hat den Stoff schon einmal verfilmt, 1962, mit Stanley Baker und Jeanne Morau. Und besser.

Aber der Samstag brachte die ersten künstlerischen Highlights dieser noch jungen Berlinale, den russischen Beitrag »Dovlatov« von Alexej German jr. und »Transit« von Christian Petzold, den ersten von insgesamt vier im Wettbewerb platzierten deutschen Filmen. Zwei Filme, die vom Druck der Gesellschaft und des Systems auf die Menschen erzählen, zwei Filme, die in bleiernen Zeiten spielen.

Sergej Dovlatov ist Journalist, er soll in den Tagen der Feierlichkeiten zum Gedenken der Revolution einen Film drehen über die Arbeiter einer Werft, die ihr Schiff nach großen russischen Dichtern benannt haben. Und er bewirbt sich bei einer literarischen Zeitschrift, die aber seine Texte ablehnt, weil sie zu ironisch sind. Eine literarische Karriere ist ihm verschlossen, weil der Schriftstellerverband ihn nicht aufgenommen hat: Kein Verlag wird ohne dessen Genehmigung seine Texte drucken. Der Film spielt im November 1971 in Leningrad, im Betonkommunismus der Breschnew-Ära.

Dovlatov hat auch heute noch in Russland Kultstatus, er emigrierte 1978 in die USA, in seiner Zeit in der Sowjetunion ist nie ein Buch von ihm erschienen. German blickt in den sechs Tagen seines Films mit dem serbischen Schauspieler Milan Maric in der Titelrolle in den Mikrokosmos der sowjetischen Untergrund-Intelligentsija, in die Enge der Lebensverhältnisse und den alltäglichen Kampf ums Überleben. So wie draußen die Nebel im Winter wabern, so hat German die Innenräume in gelben Tönen aufgenommen.

Petzold hat den Exilroman »Transit« von Anna Seghers adaptiert, allerdings in einer sehr freien und radikalen Verfilmung. Georg (Franz Rogowski) flüchtet aus dem von den Deutschen besetzten Paris nach Marseille, in das die Wehrmacht noch nicht eingerückt ist. Bei sich hat er die Papiere des Schriftstellers Weidel, der mit seiner Frau nach Mexiko ausreisen möchte. Weidel hatte sich nach der Trennung von seiner Frau in Paris das Leben genommen.

Der Kniff dieses Films ist, dass Petzold den Roman nicht als Zeitstück angelegt hat, mit historischen Dekors und Naziuniformen, sondern ihn in unserer Gegenwart spielen lässt; allenfalls die Kostüme lassen die 40-er Jahre ahnen. Man braucht ein bisschen Zeit, um da hineinzukommen, wenn französische Sondereinsatzkommandos die Verfolger der Emigranten verkörpern, wenn die damaligen Flüchtlinge sich mischen mit heutigen Migranten. Aber es funktioniert.

Es ist ein merkwürdiger Wartezustand, in dem sich Georg in Marseille befindet. Er freundet sich mit dem Jungen eines verstorbenen Freundes an, er besucht das amerikanische Konsulat, da er wegen des Zwischenstopps in den USA ein Transitvisum braucht, er lernt einen Arzt kennen. Und immer wieder trifft er auf Marie (Paula Beer), die nach ihrem Mann, Weidel, sucht.

Marie ist die rätselhafteste Figur in diesem Film, liiert mit dem Arzt, und dennoch voller Unrast. »Transit« kommt lange nicht so unterkühlt daher wie andere Filme von Petzold, sondern beschreibt auch Emotionen inmitten des Zustands der Verlorenheit und Heimatlosigkeit. Man darf spekulieren, dass Petzold mit diesem mutigen und gleichzeitig auch sehr reifen Film mit einem Preis nach Hause gehen wird. Aber noch ist ja erst ein Drittel des Wettbewerbs vorbei.

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