Großes Formbewusstsein

»Between Fences« (2016)

Es wird niemanden überraschen, dass auch im diesjährigen Internationalen Forum unter den insgesamt 45 Filmen zahlreiche um die Schicksale von Flüchtlingen kreisten. Allerdings ist das hier nichts Neues; Migration und Vertreibung waren im Forum lange vor den aktuellen europäischen Fluchtbewegungen bereits ein wichtiges Thema.

»A Lullaby to the Sorrowful Mystery« (2016). © Bradley Liew

So begleitete der für seine eindringlichen Studien geschätzte chinesische Dokumentarist Wang Bing in seinem Zweieinhalbstünder »Ta'ang« mit großer Nähe Frauen und Kinder der gleichnamigen burmesischen Ethnie, die vor einem Bürgerkrieg ins chinesische Grenzland fliehen. Avi Mograbi porträtierte in »Between Fences« ein Theaterprojekt mit afrikanischen Flüchtlingen in dem israelischen Internierungslager Holot. Und mit Philipp Scheffner war ein anderer Forumsstammgast gleich mit zwei Filmen zum Thema im Programm. In »Havarie« kollagiert er den auf Spielfilmlänge aufgeblasenen YouTube-Clip eines im Wasser treibenden Schlauchbootes mit einem vielstimmig durchgestalteten Ton-Erzähl-Raum. In »And-Ek Ghes« gibt er die Koregie an den aus Rumänien migrierten Roma Colorado Velcu ab. Das Ergebnis ist ein von Scheffner wie gewohnt genrereflexiv arrangiertes und spielerisch mit Bollywood-Einsprengseln garniertes Familienporträt.

»Homo sapiens« (2016). © NGF

Auch andere alte Bekannte waren mit neuen Arbeiten vertreten. So hat Nikolaus Geyrhalter nach seiner fulminanten Langzeitdokumentation »Über die Jahre« (die letztes Jahr im Forum gezeigt wurde) mit »Homo Sapiens« wieder eine der von ihm bekannten streng kadrierten und gemächlich fortschreitenden Tableau-Folgen vorgelegt – diesmal von Orten, bei denen vergangene menschliche Präsenz noch deutlich sichtbar ist, gegenwärtig aber schon wieder die Natur die Herrschaft übernimmt. Volker ­Koepp hat für »Landstück« in der Uckermark die Ökologie für sich entdeckt. Und Salomé Lamas, die vor drei Jahren mit »Terra de ninguém« im Forum debütierte, schuf mit Eldorado XXI über eine Goldminenstadt hoch in den peruanischen Anden ein präzise gestaltetes filmisches Gemälde, das bei aller Schönheit sehr konkret von existentiellen Nöten erzählt.

»A Maid for Each« (2016). © Orjouane Productions

Auffällig auch sonst das starke Formbewusstsein vieler Arbeiten. Ein regionaler Schwerpunkt neben Lateinamerika der arabische Raum. »A Maid for Each« etwa, wo Regisseur Maher Abi Samra mit wenigen klug gewählten Einstellungen in und um eine Vermittlungsagentur in Beirut die Ausbeutung ausländischer Hausangestellten im Libanon so plastisch wie elegant vorstellt. Auch Tatiana Huezo wählt in Tempestad eine ganz eigene Form und skizziert in der Gegenüberstellung von Ansichten einer Reise quer durch Mexiko mit den mündlichen Berichten zweier Frauen ein Porträt des von Gewalt tyrannisierten Landes.

Und ja, es gab auch gute Spielfilme: »An Outpost of Progress« aus Portugal (R: Hugo Vieira da Silva) machte aus einer Kurzgeschichte von Joseph Conrad einen mit den Geistern und Körpern der Kolonialgeschichte aufgeladenen schillernden und gänzlich unliterarischen Raum. Und mit Zhang ­Hanyis »Life After Life« kam aus China eine so spröde wie poetisch aufgeladene Elegie über das Vergehen.

»Barakah Meets Barakah« (2016). © El-Housh Productions

Ganz und gar der Gegenwart gewidmet war dagegen der saudi-arabische Spielfilm »Barakah Meets Barakah« von Mahmoud Sabbagh, der seine deutlich vernehmbare Systemkritik ausgerechnet in eine romantischen Komödie zwischen Konzeptkunst und Marketing verpackt. Das Ergebnis ist ein mit viel Witz garnierter Einblick in eine fast unbekannte Welt. So steht gleich zu Anfang der (selbstverständlich falsche) Hinweis, eventuelle (und später auch prompt auftretende) Verpixelungen hätten nichts mit Zensur zu tun. Ein Film, der neugierig macht auf andere Einblicke in eine bei uns von Klischees zugestellte Welt.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt