Wie angelt man sich einen Millionär?

»Fifty Shades of Grey«

Die gute Nachricht ist: Der Film ist besser als das Buch, dieser rätselhafte, in 52 Sprachen übersetzte Millionen-Seller, der selbst unter Fans nicht als entfernt literarisch gehandelt wird. Die schlechte Nachricht lautet: Bei dem lange erwarteten BDSM-Kracher, der am Mittwoch auf der Berlinale als Special Premiere feierte, handelt es sich um ein – Problemdrama. Das »Fifty Shades of Grey«-Massageöl der Parfümeriekette Douglas und den Kabelbinder aus dem Baumarkt können wir erstmal wieder wegpacken.

Eine gute halbe Stunde dauert es, bis die 21-jährige Literaturstudentin Anastasia Steele (Dakota Johnson) und der sechs Jahre ältere, in Seattle residierende Telekommunikationsunternehmer Christian Grey (Jamie Dornan), die sich bei einem Interview für eine Studentenzeitung kennenlernt haben, den ersten Kuss tauschen. Nach rund vierzig Minuten verliert die sehr schüchterne, sehr dünne und sehr langbeinige Ana ihre Unschuld. Und nach weiteren fünf Minuten steht sie am Herd, um Frühstück zu machen. Denn Ana ist eigentlich eine ganz "normale" Frau, die nach Mr. Right sucht, der Liebe ihres Lebens. Christian scheint es nicht zu sein, jedenfalls hält er sich selbst nicht dafür. Der begehrte, unverheiratete Superreiche ist smart, kühl und herrisch; er steht auf Bondage und möchte Ana zu seiner submissive, seiner Sklavin, machen. Für ein solches Verhältnis gibt es in der SM-Szene Regeln. Deren höchste lautet: Was immer man tut – es hat im Einverständnis zu geschehen, consensual. Und das liefert dem Film ein Set von Konflikten, die tränenreich bearbeitet werden müssen und vorerst nicht gelöst werden – es gibt ja noch zwei "Shades"-Bände. Will Ana wirklich den verruchten Sex, der den Roman angeblich so populär gemacht hat? Oder unterwirft sie sich in der Hoffnung, Christian, der eine schwere Kindheit hatte und dunkle Geheimnisse hütet, könne reformiert werden und irgendwann eine romantische, ein "echt" Beziehung eingehen? Wird sie den Pakt mit dem Teufel unterschreiben, ein seitenlanges Dokument, das von der Verhütung über die Diät bis zur Frage des Sexspielzeugs sämtliche Details der angepeilten SM-Verbindung erfasst?

Die Herkunft des Romans aus dem »Twilight«-Universum - Ana und Christian hießen früher, als die Geschichte von E.L. James unter Fans im Internet frei kursierte, Bella und Edward - lässt sich im Film an der Figurenkonstellation noch erkennen. Und an dem beunruhigenden Beziehungsmodell: ein verhuschtes, süßes Mädchen aus der Mittelklasse, das einem gutsituierten, konsumfreudigen Stalker mit Daddy-Allüren erliegt. Der unbeholfene Stil der Vorlage aber ist unter den Händen der Regisseurin Sam Taylor-Johnson, die mit dem John-Lennon-Biopic »Nowhere Boy« bekannt wurde, in einer kontrollierten, ein bisschen „neureichen“ Ästhetik aufgegangen: viel Braun, Grau und Dunkelrot, aufwändig ausgestatte Interieurs, besinnliche Kamerafahrten. In dieser Art wird auch der SM-Sex, zu dem es im letzten Drittel dann doch noch kommt, abgefedert: nur edelste Accessoires geraten da in den Blick, sehr gerne ein schöner Po, einmal ein Hauch von Schamhaar, über allem sehnende Musik und warmes Licht. Der "kink"-Faktor, die Frivolität des Films, erschöpft sich in augenzwinkernden Andeutungen. Was ist ein "buttplug"?, fragt Ana bei den Vertragsverhandlungen. Das hätte sie ebenso googlen können wie die Bondage-Fotos, die sie auf ihrem von Christian bezahlten neuen Laptop studiert.

Unter dem Aspekt "expliziter Sex" geht die Altersfreigabe ab 16 in Ordnung. Was junge Zuschauerinnen mit den ideologischen Komponenten des »Shades«-Kosmos anfangen, müssen sie selbst entscheiden. Ab und zu mal einen Analstöpsel oder ein Paddle in Gebrauch zu nehmen, ist vielleicht nicht so ungesund, wie sich von einem Typen ein Leben lang sagen zu lassen, welches Auto man fahren, wieviel Sport man machen und wann man ins Bett gehen soll.

»Fifty Shades of Grey« läuft heute in den Kinos an.

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