Zu spät für Helden

Was ist bloß mit ihm geschehen in den 35 Jahren nach seinem Tod? Seit wann hat hat er aufgehört, uns etwas zu sagen? Nicht einmal das Fernsehen, das zu später Sendezeit meist gut mit ihm fuhr, feiert den 100. Geburtstag von Robert Aldrich. Die letzte Retrospektive im deutschsprachigen Raum, die ich erinnere, liegt fast zwei Jahrzehnte zurück.

Er zählt offenbar nicht mehr so viel wie einst. Seine Subversion hat sich überholt. Die Kämpfe, der er ausgefochten hat, gehören einer fernen Epoche an. Ein Regisseur, der einst als "Moralist in einer Männerwelt" gefeiert wurde, taugt im #MeToo-Zeitalter nicht zwangsläufig zum Gewährsmann oder gar Leitstern. War er Am Ende nicht sogar ein blutiger Frauenhasser? Schließlich hetzte er Joan Crawford und Bette Davis als entfesselte Megären aufeinander, in „Was geschah wirklich mit Baby Jane?, dieser hysterischen Reprise früherer Rollen und einstigen Ruhms, verordnete ihnen ein groteskes Makeup und einen exaltierten Spielgestus. (Entweder waren sie vorher nicht eingeweiht oder besaßen unverhoffte Selbstironie.) Falls die Wehrhaftigkeit, mit der sich Kim Novak einige Jahre später in »Große Lüge Lylah Clare« aus auferlegten Rollenbildern befreit, als Wiedergutmachung noch nicht genügt, scheint mir die Verletzbarkeit der zwei Wrestlerinnen in »Kesse Bienen auf der Matte« als hinreichend treffendes Argument.

Indes empfanden die Autoren der "Cahiers du cinéma" gerade die Virilität dieses Regisseurs als eine ausgesprochene Tugend. Noch so einer, der in Frankreich vor mehr als einem halben Jahrhundert als auteur entdeckt wurde! Selbstverständlich sind wir daran längst nicht mehr gebunden. Der frische Wind von damals weht nicht mehr zu uns herüber. Die anderen Mavericks der Nachkriegszeit, Sam Fuller oder Nicholas Ray, scheinen allerdings nachhaltigeres Interesse auf sich zu ziehen. Ich ziehe es vor, ihn als ein schwebendes Verfahren zu betrachten. So leicht wird man mit Aldrich nicht fertig; zu viele Haken hat er ins Fleisch des klassischen Hollywood geschlagen. Anders gesagt: Mir wäre es entschieden lieber gewesen, er hätte »Taras Bulba« verfilmt und nicht J.Lee Thompson.

Gewiss, das alles ist erst mal Archäologie. Es gibt ein tolles Foto von ihm, auf dem er während der Dreharbeiten zu »Ardennen 1944« mit einem französischen Filmbuch posiert, dem legendären "Panorama du film noir américain". Dessen Autoren hatten seinen Film Noir „Rattennest“ als verstörenden Endpunkt des pessimistischen Nachkriegskinos gefeiert. Auf dem Foto wirkt Aldrich etwas verlegen. Sein Blick verrät Stolz und ein Gran Skepsis. Zwar hat er später oft genug versichert, seine Karriere habe er den begeisterten Kritikern in Paris und Lyon zu verdanken. Aber das war vielleicht nur eine höfliche Geste. Immerhin hatte er sich Mitte der 1950er dank des Erfolgs seiner Burt-Lancaster-Western »Apache« und »Vera Cruz« (in dem Gary Cooper mindestens ebenso gut ist) als versierter Genre-Regisseur etabliert. Er wusste, wie das Hollywoodgeschäft funktionierte.

Aber der Zuspruch der französischen Filmbegeisterten war nicht vergeblich. Sie entdeckten, was den Kritikern daheim nicht der Rede wert war. Sie schätzten seine ungestüme visuelle Phantasie, die sinnliche Prägnanz seiner Inszenierung und nicht zuletzt die Unmittelbarkeit, mit der er Gewalt auf die Leinwand brachte. In ihren Augen schuf er ein originelles, ebenso physisches wie intellektuelles Kino, das die Regeln beherrschte, aber mit den Konventionen brach. Seine Karriere war dementsprechend zerklüftet, steckte voller kommerzieller und künstlerischer Wechselfälle. Als sein eigener Produzent brachte er sich oft an den Rand des Ruins. Aber in fast jedem Jahrzehnt seiner Laufbahn ließen ihn ein, zwei überragende Kassenschlager wieder wie einen Phoenix aus der Asche aufsteigen. Dank der Gewinnbeteiligung an „Das dreckige Dutzend“ konnte er sich sogar sein eigenes Studio kaufen.

Robert Burgess Aldrich wurde am 9. August 1918 in Rhode Island in ein illustres Milieu hineingeboren: Seine Familie gehörte der Politik- und Finanzaristokratie an; er war mit den Rockefellers verwandt. Also eine Herkunft, die ihn nicht zwangsläufig vorbereitete auf die Arbeit eines Action-Regisseurs, der die Widersprüche Amerikas in eine heftige, rissige Bildsprache überträgt. Die Kurzschrift des Genrekinos eignete er sich einer langen Lehrzeit als Regieassistent (bei Renoir, Losey, Robert Rossen, Chaplin und anderen; die Zusammenarbeit mit Abraham Polonsky an »Force of Evil« hat gewiss den prägendsten Eindruck hinterlassen) souverän an. Daraus entwickelte er einen barocken Stil, der nicht notwendig veraltet, denn Aldrich ist ein pragmatischer Erzähler, der auf die Evidenz der Situationen vertraut und der es versteht, Haltung und Weltsicht in knappen Gesten und Blickwechseln zu verdichten. Er ist ein Filmemacher der nachdrücklichen Zeichen, der schroffen Szenenübergänge und schockhaft prägnanten Bildfindungen.

Aldrich beschwört ein instabile, chaotische Welt. Verwinkelte Einstellungen, extreme Auf- oder Untersichten sorgen dafür, dass nichts im Lot bleibt. In »Der Flug des Phoenix« schneidet er bei der Beerdigung eines verunglückten Passagiers unversehens auf eine subjektive Einstellung aus dem Blickwinkel des Leichnams. Bei ihm herrscht selbst in CinemaScope drangvolle Enge: In seinen Kadrierungen machen die Dekors den Protagonisten den Bildraum streitig oder konterkarieren Requisiten ihre Konflikte ironisch (man denke nur an die lächerlichen Napoleon-Büsten in »Das dreckige Dutzend«). Diese szenische Konzentration geht einher mit einer nachgerade paranoiden, an der urbanen Sensibilität des Film Noir geschulten Sicht der Natur. Sie ist kein wilder, majestätischer Raum wie in den Filmen John Fords oder Raoul Walshs, der gebändigt werden muss, ist kein Schauplatz heroischer Selbstbehauptung. Er hat die klaustrophobischsten Western überhaupt gedreht; nicht einmal in den Totalen ist genug Luft zum Atmen.

Aldrich führt die Dinge ins Extrem. Seine Filme stecken voller Wut, Aufbegehren und Tabubrüche. Ihr Zynismus ist robust. Sie werfen drastische Schlaglichter auf die amerikanische Nachkriegsgesellschaft: ein Kino des unruhigen Gewissens. Seine Lust an der Anarchie lässt sich nicht zweifelsfrei in Kategorien wie liberal oder konservativ einordnen. Ein Filmemacher der Revision ist er auch im Bezug auf die eigenen Positionen. Wenn er bestimmte Themen (das Schicksal der Indianer, den Krieg, das Hollywoodgeschäft) regelmäßig neu aufgreift, verstrickt er sich in immer unbequemere Ambivalenzen. Während er in „Apache“ noch das Bild des noblen. stolzen Ureinwohners zeichnet, erschien der Filmkritik die barbarische Grausamkeit der Apachen in »Keine Gnade für Ulzana« als Beleg für den Rassismus des Regisseurs – wobei sie übersah, dass dies Meisterwerk der Trostlosigkeit und Verheerung auch lesbar ist Allegorie auf den Vietnamkrieg. Mit »Die Kampfmaschine« und »Straßen der Nacht«, in denen Burt Reynolds zu unerwarteter Form aufläuft, wird er zum beißenden, metaphorischen Zeitgenossen der Nixon-Ära; wenngleich nicht des New Hollywood.

Bei ihm steht selten weniger als das Überleben auf dem Spiel, wobei Sport und Kampf zwei Terrains sind, die sich bei oft allegorisch überlagern. Diese Vieldeutigkeit ist mitunter schwer zu ertragen: Die finale Vernichtung der Nazi-Offiziere in »Das dreckige Dutzend« weckt gleichermaßen Assoziationen zum Football und den Gaskammern. Für Jim Browns Lauf gab es 1967 nicht nur in den Kinos nördlich der 110. Straße Manhattans frenetischen Applaus. Aus Aldrich' Sicht ist Heldentum stets befleckt und erscheint ihm zusehends absurd. Seine Figuren sind Gefangene und ihr Regisseur ein Virtuose des Pessimismus. Dennoch bangt er mit beim spirituellen Überlebenskampf seiner gebrochenen Protagonisten die, allesamt Außenseiter, um moralische Selbstbestimmung ringen. Der Korrumpierung durch Erfolg, Geld und Macht zu widerstehen ist ein Sujet, das ihn bis zu seinem letzten Film, dem zärtlich-rabiaten »Kesse Bienen auf der Matte« umtreibt.

Dabei setzt er Gewissheiten außer Kraft und macht selten Identifikationsangebote - »Rattennest« hat er ausdrücklich gegen Mickey Spillanes Helden, den rücksichtslosen, selbstgefälligen Mike Hammer inszeniert. (Die Frauenfiguren sind wiederum zu lebhaft gezeichnet, um als bloßes Korrektiv zu fungieren.) Auch den Terroristen, die in „Das Ultimatum“ ein Raketensilo besetzen, darf man die Gefolgschaft getrost verweigern. Die zwei Filme markieren seine explizite Auseinandersetzung mit einer Bedrohung, die über seinem ganzen Oeuvre schwebt. Robert Aldrich ist der Regisseur einer Epoche, die längst nicht vorüber ist: das Atomzeitalter.

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