Die unmögliche Unschuld

Gloria Swanson und WilliamHolden in »Sunset Boulevard« (1950)

Er verkörperte ein Amerika, das gern unkompliziert gewesen wäre, aber erkennen musste, dass es das nicht bleiben konnte. Zu Anfang erfüllte er das Versprechen glänzend: William Holdens Lächeln war, für wenigstens ein Leinwandjahrzehnt, enthusiastisch und glaubhaft. Es erstreckte sich über sein ganzes Gesicht, nicht nur über den Mund und die Augen.

Seine erste große Rolle, 1939 in der Verfilmung von Clifford Odets' »Golden Boy«, bescherte ihm den Beinamen, an dem seine Fans und seine Legende lange festhielten. Dann reifte er heran zu einem Mann, der nurmehr vergoldet war. Ein Konflikt war bereits in dieser ersten Rolle zu spüren: Wer kann schon gleichzeitig Violinist und Boxer sein? Ohne seine Partnerin Barbara Stanwyck hätte er diesen Part wohl nicht bewältigen können, sie war seine Mentorin beim Dreh, probte mit ihm und ermutigte ihn. »I saw your future in big electric lights«, sagt sie einmal im Film zu ihm. Dafür dankte er ihr mit seiner lebenslangen Freundschaft. Als sie 1983 den Ehrenoscar für ihr Lebenswerk erhielt, widmete sie ihn ihrem Golden Boy. Da war er schon fast zwei Jahre tot, war im Suff gestürzt und danach jämmerlich verblutet.

Billy Wilder war der Zweite, von dem er sagte, dass er ohne ihn nichts geworden wäre. Mit seiner Rolle als Gigolo in »Sunset Boulevard«, der seine Seele gern gerettet hätte, änderte sich alles für Holden. Da war gerade 30, aber die Erfahrung des Weltkriegs und die Anfänge seiner Trunksucht hatten ihre Verheerungen schon sacht in seinem Gesicht hinterlassen. Er war nicht Wilders erste Wahl (das war Montgomery Clift), aber stolz, die Rolle bekommen zu haben und voller Zweifel, ob er ihr gewachsen war. Die Sorge war epochal. Das Lächeln gelang ihm zwar fortan immer noch, aber man sah, worin es grundiert war. Ich mochte diese zweiflerische Seite schon immer an ihm, diese Unsicherheit, die einem so gutaussehenden Schauspieler in Hollywood gar nicht anstand. Ich glaube, die habe ich schon als Kind erahnt, als ich eigentlich noch ungebrochene Helden sehen wollte.

Er war schon in frühen Rollen gut, wo es genügt hätte, der gewinnende, verlässliche Junge von Nebenan mit unverfänglichem Sexappeal zu sein. (Anfangs war er übrigens auch ein vertrauenswürdiger Werbeträger für Genussmittel: In einem Antiquariat in Paris fand ich einmal eine Anzeige für Zigaretten, in der er den Rat seines Arztes zitiert, sie würden helfen gegen das Kratzen im Hals.) In »Our Town« nach Thornton Wilder ist er schüchtern auf merkwürdig extrovertierte Weise. In »Rachel und der Fremde« kämpft er mit Robert Mitchum um Loretta Young und gewinnt sie dann doch, weil er in der Lage ist, seine Gefühle zu prüfen. George Cukor verpasste ihm in »Die ist nicht von gestern« eine Brille, die als Chiffre für Bildung dient, aber im Grunde nicht nötig gewesen wäre. Sidney Lumet, der ihm später eine seiner drei, vier schönsten Altersrollen gab, pries ihn als Meister der leichten Komödie.

Mit Wilder offenbaren sich neue Facetten, stößt er in ungekannte Tiefe vor. Er bewundert den Regisseur über alle Maßen; auch Leinwandidole brauchen ihre Vorbilder. Holdens Figuren wissen nun, wie die Korruption die Seele verzehren kann. In »Die Intriganten« von Robert Wise bekämpft er sie wie ein tödliches Gift. Auf seinen leichthändigen Charme kann er sich nicht mehr so einfach verlassen, weder in »Sabrina« noch »Picknick«, da muss er lernen, dass ihm die romantische Begegnung Verantwortung auferlegt. Obwohl jeder Rolle zu diesem Zeitpunkt ein Moment des Bruchs, der Revision innewohnt, ist er einer der größten Kassenmagneten Hollywoods. Dort wird er nun »Golden Holden« genannt. Für »Die Brücke am Kwai« schließt er einen der lukrativsten Verträge in der Filmgeschichte ab. Er erhält eine Gage von 300000 Dollar und ist zu 10 % am Einspielergebnis beteiligt, was ihm in jährlichen Raten zu 50000 ausgezahlt wird. Sein Agent muss ein Genie gewesen sein, obwohl er die begehrte Hauptrolle in »Giganten« dann doch an Rock Hudson abgeben muss. Für »Der letzte Befehl« erhält er dieselbe Gage wie John Wayne (eine dreiviertel Million und 20% Gewinnbeteiligung), nur bleibt dessen Erfolg hinter den Erwartungen zurück.

Der notorisch snobistische David Lean hält ihn zunächst nur für einen Collegboy, merkt dann aber, was für einen hingebungsvollen Profi er vor sich hat: »Worked like hell, never late, always knew his lines«. In der Rolle des sinnenfrohen US-Offiziers Shears, der den britischen Heldenkult verabscheut, wird Holden zum moralischen Zentrum des Films, eine verzweifelte Stimme der Vernunft, die darauf besteht, dass das Leben die größere Herausforderung darstellt. Diese Erkenntnis macht ihn zu einem großartigen Kontrahenten John Waynes in Fords Bürgerkriegswestern. Als Holden ihn dreht, befindet er sich schon auf dem Rückzug aus Amerika. Ende der 50er zieht er mit seiner Familie nach Europa.

Ohnehin ist er, nicht erst seit den »Kwai«-Dreharbeiten in Ceylon, zu einem großen Reisender geworden. Er dreht ständig in Asien, zwei seiner besten Filme spielen in Hongkong, »Alle Herrlichkeit auf Erden« und »Die Welt der Suzie Wong«. Die Straße der Nachtclubs, in der letzterer wesentlich spielt, habe ich mal erkundet. Ich fand eine Bar, die nach Suzie Wong benannt ist und gleich daneben ein Geschäft, das deutsche Badezimmereinrichtungen verkaufte. Den Concierge des Peninsula-Hotels, in dem er häufig abstieg, fragte ich, ob Holden sich ins Gästebuch eingetragen habe. Aber dem unwirschen Herren sagte dessen Name nichts mehr. Es ist möglich, dass der Amerikaner auf diesen Reisen letztlich ein Argloser im Ausland blieb, aber ich glaube, dass er sie als wachsamer Romantiker unternahm. In Afrika entdeckte er, dass er nicht zum Großwildjäger taugte und wurde statt dessen zu einem glühenden Wildschützer.

Unterdessen hatte sich Hollywood radikal verändert. Er selbst auch. Es gefällt mir, wie sein Gesicht allmählich seine Symmetrie verliert. Nun wirkt es verwittert. Davon profitiert seine Rolle in Peckinpahs »The Wild Bunch« ganz enorm. Er bringt ein halbes Leben der verlorenen Ideale in sie ein, einen Bodensatz an Anstand, um den seine Figuren seit Ende der 50er schon heillos ringen. Das ist die Grundierung für ein sporadisch grandioses Spätwerk: Blake Edwards' Spätwestern »Missouri«, die überraschend zärtliche Liebesgeschichte, die ihn Clint Eastwood in »Breezy« (Begegnung am Vormittag) erleben lässt. Es gibt ein wunderbares Dreharbeitenfoto von den Beiden, auf dem Holden eine Strickjacke trägt und aufmerksam seinem Regisseur zuhört. Frank Schnelle hat es aufgetrieben, als wir vor gut zwei Jahrzehnten zusammen ein Eastwood-Buch machten. Nun hängt es im Flur meines Freundes Heiko, der meine Begeisterung für Bill Holden nicht nur wegen »The Wild Bunch« teilt.

Er war einer jener Schauspieler, bei denen alles mühelos erscheint, einer von denen, die man leicht unterschätzt und die doch eines der größten Geschenke sind, die Hollywood uns beschert hat. Als Sidney Lumet ihn für »Network« besetzt, spürt er, dass er es mit einem Schauspieler zu tun hat, der fürchtet, sein Talent sei versiegt. Und was für eine Leistung bringt er da! Wenn er in der Konfrontation mit Faye Dunaway defensiv »simple human decency« beschwört, ist das ein Schlüsselmoment in seiner Karriere. Ich glaube, die Rolle machte ihm auch deshalb Angst, weil sie vom Schuldgefühl erzählt, ein untreuer Ehemann gewesen zu sein. Holden Gespür für das eigene Scheitern kommt mir ziemlich nobel vor. In Wilders »Fedora« gelingt ihm noch eine wunderbare Studie des Abglanzes. Und seine letzte Rolle in Blake Edwards' »SOB« ist ein großartiger Abschied vom Kino, ein Aufbäumen seines Charmes und eine diskrete Quintessenz seiner Zerrissenheit. Heute hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert.

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