Die Haut der Anderen

Stern von Barbara Baum auf dem Boulevard der Stars in Berlin. Foto: Times (2010)

Manchmal bleiben die interessantesten Äußerungen, die während eines Interviews fallen, auf der Strecke. Aus zunächst erfindlichen Gründen, die aber im Nachhinein dumm und absurd erscheinen, schaffen sie es nicht in die veröffentlichte Fassung. Das ist vertrackt, denn eigentlich hat man beim Schreiben meist auch die Nachwelt im Kopf.

Für die Sammlung von Werkstattgesprächen, die ich bereits im vorangegangenen Eintrag über Philippe Sarde erwähnte, führte ich auch ein Interview mit Hanna Schygulla. (Warum bin ich eigentlich zu bescheiden, den Titel des Buches zu nennen? Es heißt "Teamwork in der Traumfabrik" und ist für einige Leser, wie ich am Wochenende während eines Symposiums erfahren durfte, auch 25 Jahre später noch eine Referenzlektüre.) Bevor unser Interview begann, wollte Hanna Schygulla wissen, welche Berufe denn überhaupt in dem Buch vertreten seien. Ein wichtiges Metier fehlte nach ihrer Ansicht in meiner Aufzählung: das Kostümbild. Das leuchtete mir rasch ein - und erst recht, nachdem sie mir von den Dreharbeiten zu Fassbinder-Filmen berichtete, wo es ihr häufig genug passierte, dass sie nach einem Take nicht Ausschau hielt nach der Reaktion ihres Regisseurs, sondern zu Barbara Baum hinüberblickte.

Ihr Verhältnis muss sehr eng und vertraut gewesen sein. Oder, um den Titel der Ausstellung über die Kostümbildnerin zu zitieren, die heute im Filmmuseum Frankfurt eröffnet wird: Hautnah. Ich stelle mir vor, dass die Kleider für die Schauspielerin nicht nur ein Instrument waren, um ihre jeweilige Figur zu finden. Gut möglich, dass sie in ihrem Beruf, der Preisgabe verlangt und dem Verletzbarkeit innewohnen kann, auch einen Schutz bedeuteten. Als ich nun das Buch zur Hand nahm, fand ich im Register tatsächlich den Namen Barbara Baum, aber in einem anderen Zusammenhang. Schygulla schildert, wie Fassbinder bei seinen Mitarbeitern oft auf Vertrautes zurückgriff, ihnen aber auch einen gewissen Spielraum ließ. Manchmal genügte ihm ein Wort, um sie auf die richtige (oder zumindest die gewünschte) Spur zu bringen. Bei »Lili Marleen« sagte er zu Baum nur: "Wir machen einen sehr bunten Film".“ Ebenfalls aufschlussreich, aber längst nicht so gut wie Schygullas Erzählung vom gesuchten Blick!

Als die Drei bei »Fontane Effi Briest« zum ersten Mal zusammenarbeiteten, hatte Barbara Baum schon mehr ein halbes Dutzend Filme hinter sich, unter anderem mit Peter Fleischmann, Peter Lilienthal und Hans-Jürgen Syberberg; auch in der Folge suchte sie ein breites Spektrum von Projekten. Allerdings wird ihr Schaffen vornehmlich mit Fassbinder assoziiert. Das ist insofern interessant, als sie mit ihm praktisch ein Inventar der deutschen Nachkriegsgeschichte und - mode anlegen konnte. Der Radius der Ausstellung scheint jedoch weiter gefasst, und ich vermute schwer, dass sie den Besuch lohnt.

Ihr Titel ist kühn gewählt. Er verheißt Intimität. In ihm steckt die Floskel der zweiten Haut, zu der das Kostüm für die Darsteller werden kann: Er benennt deren Erfahrung. Die Nähe, auf der er besteht, findet zwischen Komplizen statt. Bleibt da der Ausstellungsbesucher nicht außen vor? Dem Presseheft nach soll sie ihm jedoch haptische Erlebnisse bereiten, was man sich nicht so ganz vorstellen kann, denn schließlich geht es um erlesene Kreationen und kostbare Stoffe. Aber die Beziehung Schauspieler und Kostüm erscheint mir erst einmal spannungsvoll genug. Sabine Azéma beschrieb einmal während eines Interviews, wie sie anfängt, eine Figur im Kostüm zu spüren. Es öffnet eine Tür und ist ein Mittel der Glaubwürdigkeit. Das Haptische ist der Anfang, sagte Azéma, sodann erleichtern ihr die Farben den Zugang zur Rolle – in Rot sei es leichter für sie, innere Heftigkeit zu entwickeln als in Grau. Einen Schutz hingegen brauche sie nicht, jede Figur sei zuerst nackt. Schade, dass sie bisher nie von Barbara Baum bekleidet wurde.

Ich habe die große Kostümbildnerin einmal auf einem Empfang im Berliner Filmmuseum kennengelernt, eher zufällig und leider kurz. Ich zitierte ihr Hanna Schygullas Worte, die sie wohl nicht zum ersten Mal hörte. Rasch lenkte sie das Gespräch auf ein Projekt mit Stanley Kubrick, aus dem zu ihrem Bedauern nie etwas geworden war: »The Aryan Papers«, die Verfilmung von Louis Begleys Roman »Lügen in Zeiten des Krieges« - wiederum Zeitgeschichte, für den jüdischen Regisseur aber vor allem ein Versuch, sich endlich direkt mit dem Holocaust auseinanderzusetzen, der sonst eine Grundierung seines Werkes ist. Barbara Baum erzählte, wie sie auf seinen Landsitz in England eingeladen wurde. Sie folgte der Einladung mit einer gewissen Ehrfurcht, ohne aber gleich den Kopf zu verlieren. Es wäre der erste Kubrick-Film geworden, dessen Hauptfigur eine Frau ist. Der Regisseur schien mit ihren Entwürfen zufrieden gewesen zu sein. Hoffentlich sind einige davon in Frankfurt zu sehen.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt