Das ist noch der ganze Schwung der 60er

Das Tamburin ist ein eigentümliches Instrument. Wie es scheint, wurde es in Ägypten erfunden und fand bald Verbreitung im arabischen Kulturkreis und Mittelmeerraum. Mozart gilt als einer der ersten europäischen Komponisten, die es einsetzten. Was also hat es im England des ausgehenden 12. Jahrhunderts zu suchen? Genauer gefragt: in Erich Wolfgang Korngolds Partitur zu »Robin Hood, König der Vagabunden«?

Eine rasche Recherche in der Filmmusik-Bibliothek eines Freundes brachte keine Klärung. Ich vermute, auch die Biographen von Errol Flynn, Michael Curtiz und Jack Warner werden sich wohl nicht mit diesem Rätsel beschäftigt haben. Allerdings macht sich das Tamburin gut in der Titelmelodie, es unterstreicht den Tatendrang von Robin und seiner fröhlichen Schar. Mit ihm schleicht sich ein unverhofft orientalischer Klang in die Musik. Vielleicht wollte Korngold auf die Kreuzzüge anspielen und unter der Hand bereits die glückliche Rückkehr von Richard Löwenherz ankündigen. Filmkomponisten greifen mitunter gern vor.

Ich hätte mir diese Frage möglicherweise nie gestellt, wenn ich das Stück nicht vor ein paar Tagen in einem Konzertsaal gehört hätte. Selbstverständlich hatte ich das Tamburin schon früher wahrgenommen, aber nur unterschwellig. Als ich nun aber sah, wie der Perkussionist der Nordwestdeutschen Philharmonie es schlug, kam mir seine Präsenz unerhört vor. Instrumente kommen in einem öffentlichen Raum anders zur Geltung, als es bei der Mischung im Tonstudio der Fall ist: Nicht nur, weil die Solisten sich bemerkbar machen wollen, sondern weil sie nicht mehr unerkannt bleiben.

Wenige Minuten zuvor war es mir ähnlich ergangen. Als zuverlässig schmissigen Auftakt spielten die Philharmoniker Elmer Bernsteins Hauptthema aus »Die glorreichen Sieben«. Mich reißt es noch immer mit, auch nach tausendfachem Hören. Aaron Copland und Jerome Moross mögen mir verzeihen, aber sein feuriges, aggressives Tempo (an einer Stelle habe ich immer den Eindruck, Bernstein habe ein paar Noten übersprungen) macht es nach wie vor zur temperamentvollsten Ausformulierung von Americana im Kino. Es war jedoch wiederum der Einsatz des Perkussionisten, der mich daran erinnerte, dass Bernstein auch den Schauplatz Mexiko anklingen lässt. Und als das Orchester danach Max Steiners "Tara's Theme" aus »Vom Winde verweht« spielte, wurde mir etwas klar, das ich eigentlich schon immer spürte: Kaum ein anderes Stück klingt so sehr Heimat und der Sehnsucht nach ihr. Mit dem Auge hört man mehr.

Filmbilder hatte ich selten vor Augen, auch wenn sie das Tempo vorgaben. Das Orchester hatte das Programm schon eine Woche zuvor im Concertgebouw in Amsterdam gegeben, nun hörte ich es in Bad Salzuflen, am kommenden Freitag (31.8.) gastiert es im Domhof in Minden; jedes Mal unter einem anderen Titel ("Highlights of Hollywood", "Best of Hollywood", "Hollywood in Minden"), aber mit der gleichen Auswahl an Stücken. Es ist nichts Ausgefallenes, Entlegenes darunter, anders als bei einem denkwürdigen Saisonabschluss ihrer Berliner Kollegen (siehe "Cosmo, Stimmungsmusik!" vom 29. 6. 2015), vielmehr besteht es aus lauter Themen, die zum Markenzeichen, zur Signatur der Filme geworden sind. Viel John Williams, ein wenig Bond, »Herr der Ringe« (wegen der Wagner-Nähe) und, um zur Gegenwart aufzuschließen, »Captain America«. Der Wiedererkennungswert soll groß sein bei einer solchen Veranstaltung. Diesen Anspruch, alle Generationen im Publikum zu unterhalten, muss man nicht geringschätzen.

Bei den Sonderkonzerten des Orchesters aus Ostwestfalen ist es üblich, dass die Dirigenten zugleich als Moderatoren auftreten. Sie agieren als Vermittler des Vertrauten, ein Mandat, das sie meist launig-gediegen erfüllen. Walter Florin hat, nicht nur auf dem Podium, reichlich Erfahrung mit populärer Film- und Fernsehmusik. Mit "Disney in Concert" geht er seit Jahren auf Tournee. Seine Erscheinung und sein Habitus fallen ein wenig aus der Zeit – mit seinem feinen Oberlippenbart hätte er einen feschen Widersacher Errol Flynns abgegeben –, er geht an das volkstümliche Repertoire ohne störende Ironie heran.

Bevor die Philharmoniker das Violinen-Thema aus »Schindlers Liste« spielten, stimmte er das Publikum mit einer Anekdote ein: Bei einer Jubiläumsfeier der deutsch-israelischen Beziehungen in der New Yorker Carnegie Hall wollte er das Stück unbedingt aufs Programm setzen, stieß bei den Veranstaltern aber auf heftigen Widerstand, weil es zu traurig sei. Florin hat seinen ganz eigenen Plauderton (wenn Sie sich eingangs fragten, warum ich von Robins "fröhlicher Schar" sprach, wissen Sie nun, von wem ich das habe).

Mit der Interpretation von Lalo Schifrins »Mission: Impossible«-Thema war ich nicht ganz glücklich. Der Anfang, der die Dringlichkeit einer Zündschnur besitzen sollte, war dem Orchester etwas verhuscht geraten; es fand dann aber flott in Schifrins 5/4 Takt. Aber danach versöhnte mich der Dirigent, als ihm das schön versonnenen Apercu "Das ist noch der ganze Schwung der 60er!" entfuhr. Ein weiterer Brauch des Orchesters ist es, ans Ende ihrer bunten Programme »Fluch der Karibik« von Klaus Badelt zu setzen. Das passt selten, auch die Dirigenten wissen nicht immer, weshalb das so ist, funktioniert als Rausschmeißer aber ganz gut. Walther Florin fand, das sei ein regelrechtes Techno-Stück. Und in der Tat, diesmal hörte ich es mit anderen Ohren.

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