Wie es euch gefällt

Patrick Doyle. Foto: British Council Qatar (2016)

Einen ausländischen Komponisten zu engagieren, ist wahrscheinlich die budgetfreundlichste Möglichkeit, einem Film internationales Flair zu geben. Dieser Gedanke kam mir erstmals 2006, nachdem ich erfuhr, dass Gabriel Yared die Partitur zu »Das Leben der Anderen« komponiert hat. Dadurch wurde zwar noch kein europäischer Film daraus, aber zumindest einer, der international enorm wahrgenommen wurde.

Eigentlich hätte mir diese Idee schon ein, zwei Jahre früher kommen müssen - und zwar, als ich den Regisseur Philippe Lioret zu »Die Frau des Leuchtturmwärters« interviewte. Damals behauptete er, in Europa gäbe es derzeit nur zwei Filmkomponisten von Rang: Nicola Piovani und Patrick Doyle. Wie gut, dass Alexandre Desplat nicht mit im Raum war! Gleichviel, mit dem Italiener arbeitet der französische Regisseur seither häufig zusammen, während der Schotte nach »Indochine« irgendwie an dessen Landsmann Regis Wargnier hängengeblieben ist und dessen Filmen wacker einen epischen Atem hinzufügt, der ihnen ansonsten schmerzlich fehlt.

Doyle neigt ohnehin zur Treue. Seit »Heinrich V.« hat er nicht nur jede von Kenneth Branaghs Shakespeare-Verfilmungen vertont, sondern ihn auch auf Eskapaden in ganz andere Gefilde begleitet (»Thor«, »Jack Ryan« und aktuell gerade »Mord im Orient-Express«). Eine solche Kontinuität lässt sich sicher nicht ganz leicht bewahren bei einem Komponisten, der so vielbeschäftigt ist wie Doyle. Er tummelt sich auf beiden Seiten des Atlantiks und in praktisch allen Genres. Besonders mag ich den ersten Teil seiner Filmographie, die Partituren für »Carlito's Way«, »Donnie Brasco«, »Needful Things« sowie seine erste Zusammenarbeit mit Alfonso Cuaron, »Die Traumprinzessin«. Ein erfolgreicher Filmkomponist muss natürlich ein Chamäleon, in vielen Stilrichtungen und Epochen zuhause sein. In die Roaring Twenties hat es ihn, soweit ich das überblicke, jedoch noch nicht verschlagen; »Gosford Park« und »Verlorene Liebesmüh'« spielen in den 1930ern. Umso mehr freute es mich, als ich seinen Namen im Programm des diesjährigen »Film-Musikfest« in Bielefeld entdeckte: Von ihm stammt die Musik des Eröffnungsfilms »It« (Das gewisse Etwas), den der treffliche, fast vergessene Clarence Badger 1927 mit Clara Bow drehte.

Ich weiß nicht, ob es an der Strahlkraft seines Namens lag, aber die Rudolf-Oetker-Halle war fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Romantiker in mir würde gern glauben, es liege auch an der Anziehungskraft von Bow, die das Publikum des letztjährigen Stummfilmfests in »Man trap« bezauberte (siehe »Stumm war das Kino nie« vom 26. 10. 2016). Uns schwante schon, was für ein Andrang herrschte, als wir eine geschlagene halbe Stunde nach einem Parkplatz suchen mussten (am Spiel von Arminia Bielefeld kann es nicht gelegen haben, die in der Nachbarschaft gerade haushoch verloren), wobei mir beim Blick auf die Nummernschilder auffiel, wie viele Besucher der Konzerthalle von weither angereist waren.

Dabei dirigierte der Komponist nicht einmal selbst. Er wurde von Helmut Imig vertreten, der genau den richtigen Schalk im Nacken für diese Musik besitzt. Das Staatsorchester Braunschweig spielte in ungewöhnlicher Besetzung: viele Streicher, Klavier, Celesta und Harfe. Dass Doyle auch ohne die traditionellen Rhythmusinstrumente Tempo und Dramatik schaffen kann, war mir zwar aus »Killing Me Softly« in Erinnerung. Aber welch komödiantischen Glanzlichter er mit dieser Instrumentierung setzt, hat mich dann doch verblüfft. Die Braunschweiger sind mit Doyles Partitur vertraut, sie wurde schon vor zwei Jahren während einer Hommage an ihn auf dem dortigen Filmfest aufgeführt. Es klingt ein großes, vergnügtes Staunen aus ihr: über die Epoche, den damaligen Erzählstil, vor allem die Hauptdarstellerin, auf deren überschwängliches Temperament Badgers Regie jederzeit gefasst scheint.

Doyle begleitet den Film nicht, wie er üblicherweise ein period picture vertonen würde. Seine Musik schert sich nicht um ein zeitgenössisches Idiom (obgleich Paramount damals gut daran getan hätte, ihn zu engagieren), sondern greift die Leinwandgeschehnisse mit vergnügtem Abstand auf. Badgers Film basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Elino Glyn, die selbst einen Marshall-Mc-Luhan-haften Auftritt hat. Es geht um ein munteres Liebeswerben mit sozialem Gefälle: Bow verliebt sich in einen schmucken Junggesellen, der sich als der Erbe des Warenhauses entpuppt, in dem sie als Verkäuferin arbeitet. In diesem wunderbaren Beitrag zum ohnehin ergiebigen Genre des Kaufhausfilms setzt Doyle mitreißende Akzente. Es ist ein atemloses Zögern in seiner Musik, ein rasantes Innehalten, das den Liebeswirren eine verschmitzte Spannung hinzufügt. Das Zaudern ist hier ein männliches, für Dynamik ist Bow zuständig. Ungeduldig schließt Doyle die Szenen ab, um sich dann blitzschnell in die nächste zu stürzen. Er entzündete ein komödiantisches Feuerwerk, das ansteckend gute Laune bereitete. Einen solchen tosenden Schlussapplaus habe ich in all den Jahren auf dem Festival noch nicht gehört. Hoffentlich erscheint »It« demnächst einmal auf DVD mit seiner Musikbegleitung.

Am zweiten Abend war die Parkplatzsituation entspannter. Mit G.W. Pabsts »Die Liebe der Jeanne Ney« war Neue Sachlichkeit angekündigt. Sachlich wollte mir sein Melo vor dem Hintergrund von Oktoberrevolution, Bürgerkrieg und Pariser Exil nicht erscheinen. Neu und frisch kam mir der Film von 1927 indes sehr wohl vor, was nicht zuletzt an der Vertonung von Stephan Graf von Bothmer lag. In Berlin ist der Stummfilmmusiker so etwas wie ein Lokalmatador, sein Bielefelder Debüt war eine experimentierfreudige, eingangs verstörend auf Aktualität dringende Annäherung an Pabsts Film. Der ist von Murnau-Stiftung zu neuem Glanz rekonstruiert und hat auch seine verschmitzten Aspekte. Das Anbändeln lebenslustiger Pariserinnen mit flotten Rotgardisten ist augenzwinkernd vergnüglich. Die Aufnahmen an Pariser Originalschauplätzen (die Buttes Chaumont, die alten Markthallen) hatte ich nicht so atemraubend in Erinnerung. Auch das erfreulich Kolportagehafte, das in der Ilya-Ehrenburg-Verfilmung nistet, war mir etwas entfallen. Dank des aufgeweckten Sigi Arno ist das auch ein smarter Detektivfilm. Bothmers Musik hat diese Vielschichtigkeit gut im Griff.

Das Film+Musikfest hat gerade seine Halbzeit erreicht. Heute Abend läuft ein unbekannterer Murnau, »Der Gang in die Nacht«(mit Eunice Martins am Klavier), am Freitag »A Woman of Affairs« mit Greta Garbo (Musik: Carl Davis) und zum Abschluss am Sonntag Lubitschs »Die Bergkatze«, der mit Axel Goldbeck und seinem Cinematografischen Orchester in bewährten Händen ist. Für freie Parkplätze kann ich nicht garantieren. Aber dem diesjährigen Motto »Das gewisse Etwas« wird die zweite Programmhälfte bestimmt gerecht werden.

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