Ungemeinsame Sache

»Mission to Moscow« (Botschafter in Moskau, 1943). © Everett Collection

Nun ist es doch ganz anders gekommen. Dabei war seine Idee viel versprechend und er hatte das Thema ausgiebig recherchiert. Als wir zum letzten Mal darüber sprachen, war er fast bereit, den Artikel in Angriff zu nehmen. Konnte er ahnen, dass die Zeit so blitzschnell über ihn hinweggehen würde?

Vor ein paar Wochen kamen wir eher zufällig auf sein Vorhaben zu sprechen. Da schien es brandaktuell, wenn auch etwas entlegen. Er hat eine Faible für originelle Blickwinkel. Angesichts der ursprünglichen, verblüffenden Vertraulichkeit zwischen dem neu gewählten US-Präsidenten und seinem russischen Kollegen wollte ein befreundeter Redakteur über die filmische Allianzen schreiben, welche die USA und Russland während des Zweiten Weltkriegs und eventuell danach eingingen. Er hatte gerade »Mission to Moscow« gesehen, die von Warner Bros. 1943 produzierte Verfilmung der Memoiren von Joseph E. Davies, der in den 1930ern von Präsident Roosevelt als Botschafter in die Sowjetunion gesandt wurde. Die ideologischen Verrenkungen des Films hatten ihn verblüfft, ja erschüttert: Da wurde alles gutgeheißen, selbst die Schauprozesse und Hinrichtungen, mit denen Stalin zahllose Widersacher ausschaltete!

Ich war Feuer und Flamme für das Thema und versprach, nach weiteren Beispielen aus der Filmgeschichte zu suchen, in denen Hollywood und die SU gemeinsame Sache machten. Es gibt einen bekannten Korpus von Filmen, die neben »Mission to Moscow« während des Krieges entstanden: die Samuel-Goldwyn-Produktion »The North Star« über eine Kolchose, die 1941 von der deutschen Invasion überrascht wird; »Song of Russia« von MGM mit dem nachmaligen Kommunistenhasser Robert Taylor; auf Jacques Tourneurs »Days of Glory« von 1944 (Gregory Peck in seiner ersten Kinorolle als Partisan) hingegen kamen wir nicht, der war im Windschatten der anderen verloren gegangen, obwohl er für eine RKO-Produktion ein erstaunlich hohes Budget hatte und ebensolche Verluste einfuhr. Uns beiden war auch bekannt, dass es für all diese Filme während der McCarthy-Ära ein böses Nachspiel gab: Obwohl (oder gerade weil) sie auf persönlichen Wunsch von Präsident Roosevelt realisiert wurden, zieh man sie ab 1947 der kommunistischen Propaganda. Ihre Drehbuchautoren, darunter Howard Koch, Lilian Hellman und Paul Jarrico kamen stracks auf die Schwarze Liste.

Aus heutiger Sicht überrascht es nicht, dass aus dem Projekt meines Freundes nichts wurde. Aus Donald Trumps Wahlversprechen ist gründlich Makulatur geworden. Warum sollte bei dessen geopolitischen Maximen (sofern er welche hatte) ein Stein auf dem anderen bleiben? Nun zeigen sich die Weltmächte wieder die kalte Schulter. Vor ein paar Tagen musste ich noch einmal an den vereitelten Artikel denken, als ich über eine Bernardo-Bertolucci-Retrospektive in der Schweiz schrieb. Mich hatte schon immer verblüfft, wie es dem Regisseur gelingen konnte, bei einem US-Major wie Paramount so viele Millionen für ein marxistisches Epos locker zu machen (andererseits hat Warren Beatty dem Studio für »Reds« ja noch zig Millionen mehr abgeluchst). Ich las dazu noch einmal das vorzügliche Interview, das Karsten Witte für den Bertolucci-Band der blauen Reihe Hanser Film mit ihm führte. Darin sagt er über den Chef von Gulf&Western, dem Konzern, zu dem Paramount damals gehörte, den wunderbaren Satz: »Charles Bluhdorn ist kein Freund roter Fahnen.«

Den Text meines Freundes hätte ich gern gelesen. Anderserseits bereitet es mir ein diebisches Vergnügen, diesen hier zu schreiben. Die Vergeblichkeit soll hier nicht das letzte Wort behalten. Es gibt keinen Grund, der Welt solch interessanten Erkenntnisse vorzuenthalten. Bei meinen eigenen Recherchen geriet ich auf einige falschen Spuren (in »Eisstation Zebra« bekämpfen sich Amerikaner und Russen 1968 dann doch), um im Anschluss dennoch fündig zu werden (in »Verschollen im Weltraum«, ein Jahr später ebenfalls von John Sturges inszeniert, rettet am Ende ein russischer Kosmonaut havarierte Astronauten). Einige meiner Vorschläge waren eher dürftig: In »Gorky Park« kooperieren zwar ein Cop und ein Moskauer Polizist, um einen schurkischen US-Geschäftsmann zur Rechenschaft zu ziehen, aber das bleibt auf einer privaten Ebene. »Jagd auf roter Oktober« nach Tom Clancy war da schon hochkarätiger. John Mc Tiernan berichtete nach dem Start immerhin stolz, viele US-Zuschauer hätten beim Verlassen des Kinos die russische Nationalhymne gesummt. Etwas Ähnliches war auch bei »Reds« passiert, der pikanterweise zum Amtsantritt des Kommunistenfressers Ronald Reagan herauskam (siehe den Eintrag »Fingerspitzen« vom 29.3.). Ein interessantes Fundstück war »2010 – Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen«, eine Art Fortsetzung von Kubricks »2001«, der von einer gemeinsamen Raumfahrtmission handelt. Als Science Fiction funktioniert die Allianz anscheinend prächtig (wenngleich es einige bezeichnende Unterschiede zur Vorlage von Arthur C. Clark gibt).

Auch nach unserem letzten Gespräche mochte ich meine Recherchen noch nicht aufgeben. Heute morgen stieß ich auf einen hübschen Goldwynism. Der geschäftstüchtig patriotische Produzent erklärte beim Start von »The North Star«: »I don't care if the picture doesn't make a dime, just so long as every man, woman and child in America sees it.« Für die Filmmusik hätte Goldwyn übrigens gern Igor Strawinsky verpflichtet, der sich sofort dazu bereiterklärte, in Unkenntnis der Gepflogenheiten des Hollywoodgeschäfts allerdings für die Arbeit an der Partitur mindestens sechs Monate veranschlagte. »The North Star« kam auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges noch einmal in die US-Kinos, unter dem Titel »Armored Attack« und in einer komplett veränderten Fassung, die nun Aufnahmen des Ungarn-Aufstands von 1956 enthielt und die Geschichte flugs in ein anti-kommunistisches Pamphlet umdeutete.

Auf ein weiteres Fundstück stieß ich, als ich mir neuerlich Gedanken über Frank Capra machte (siehe »Der Name unter dem Titel« vom 6.1.). 1932 versuchte der Regisseur, vom Poverty-Row-Studio Columbia zu den höheren Weihen bei MGM aufzusteigen. Er übernahm, schon damals ein rechtschaffener Opportunist, ein Lieblingsprojekt des Produktionsleiters Irving Thalberg mit dem Titel »Soviet«. Thalberg war zwar überzeugter Kapitalist, aber zugleich vom Sozialismus fasziniert und wollte eine Ode an das hart arbeitende russische Volk herausbringen. Der Film hätte von einem amerikanischen Ingenieur (Clark Gable sollte ihn spielen) erzählt, der gemeinsam mit einem Kommissar (Wallace Beery) an einem Staudamm arbeitet. Capra schwebte angeblich ein dialektisches Epos über amerikanischen Unternehmergeist und russischen Kollektivismus vor. Louis B. Mayer war indes noch ein überzeugterer Kapitalist als sein Produktionschef und lies das Projekt einen raschen Tod sterben. Noch 1938 nannte Capra es den besten Stoff, an dem er je arbeitete, wollte später aber nichts mehr davon wissen. Die innige Nähe zwischen Hollywood und Russland flammte, daran hat sich bis heute nichts geändert, immer nur in kurzen Zeitfenstern auf.

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