Lingua franca

"Von einem guten Synchronsprecher erwarte ich", sagte sie bestimmt, "dass er die Seele der Figur findet." Das ist eine ziemlich unerhörte Forderung. Ludovica Modugno weiß jedoch, wovon sie spricht: Sie ist eine der bedeutendsten Synchronsprecherinnen und -regisseurinnen Italiens.

Regelmäßig leiht sie ihre Stimme großen angloamerikanischen Schauspielerinnen wie Glenn Close, Emma Thompson, Anjelica Huston sowie Ellen Barkin und gelegentlich auch Annette Bening, Julianne Moore, Charlotte Rampling und Meryl Streep. Das italienische Fernsehpublikum kennt sie nicht zuletzt als die heimische Stimme von Victoria Principal in »Dallas«; auch Zuschauern der Animationsfilme von Hayao Miyazaki ist ihr Timbre wohlvertraut. Den Beruf der doppiatrice, der Synchronschauspielerin, übt sie seit Kindertagen aus. Darüber hinaus ist sie keine unsichtbare Schauspielerin: Mit Sechzehn gehörte sie bereits zum Ensemble von Giorgio Strehler, das 1965 auch einmal in der Volksbühne in Berlin (Ost) mit einer Komödie von Goldoni gastierte. Deutsche Kinogänger können sie aus »Maria, ihm schmeckt' s nicht« kennen sowie als Checco Zalones resolute Mutter in »Der Vollposten«, die ihm seinen Capuccino morgens mit Doppelherz im Schaum serviert. Ein gut gelaunter Zufall mag für diesen Gag verantwortlich sein, denn Ludovica Modugnos hauptsächliches Metier nennt man in Italien "oppiaggio", also Verdopplung.

Vor ein paar Tagen hatte ich das Vergnügen, sie bei einer Podiumsdiskussion im Italienischen Kulturinstitut in Berlin kennenzulernen. Unter dem Motto "Welche Sprache spricht der Film?" debattierten wir über das Für und Wider von Synchronisation und Untertitelung. (Die zweite Gesprächspartnerin war die Produzentin Tiziana Soudani, über deren Arbeit – u.a. mit Marco Bellocchio, Alice Rohrwacher und Silvio Soldini - sich gewiss ebenso viel Bemerkenswertes sagen ließe, was heute aber nicht unser Thema ist.) Gleich zu Beginn der Diskussion formulierte Signora Ludovica einen niederschmetternden Einwand gegenüber ihrem eigenen Metier, in dem sie auf die italienische Redensart "traduttore = traditore" hinwies, Übersetzer gleich Verräter. Den Vorbehalt, jede Synchronisation sei eine Verfälschung, wollte sie auch später nie ausräumen: Bei der Verdopplung kann ein anderer Film herauskommen. Das Thema in der Ambivalenz zu halten, war ein guter Kompass für diesen Abend, denn zugleich fiel es schwer, sich eine leidenschaftlichere Fürsprecherin eben dieses Berufs vorzustellen. Womit wiederum die eingangs beschworene Seele ins Spiel kommt.

Tatsächlich geht mir ihre Forderung nach Ergründung der Figuren seither oft durch den Kopf. In ihr artikuliert sich nicht nur ein hoher künstlerischer Anspruch. Sie eröffnet auch einen Spielraum, denn sie trifft eine Unterscheidung zwischen der Rolle und dem Originaldarsteller. Auf dessen Stimmlage muss die Synchronstimme also nicht zwangsläufig passen. Sie sind Geschwister, aber keine Zwillinge. Ludovica Modugno begreift, als Regisseurin wie als Sprecherin, die Synchronisation im Kern als eine zweite Interpretation des Drehbuchs. Nicht von ungefähr ist im Italienischen von Synchronschauspielern die Rede. Das impliziert eine intensive Hingabe. Ohnehin stelle ich es mir als einen ungemein intimen Akt vor, einem Anderen seine Stimme zu leihen. Man begibt sich in unmittelbare Nähe. Bestimmt tritt man zuweilen in Konkurrenz. Ein Anmaßung, die sich am redlichsten wohl mit Demut bewerkstelligen lässt.

Noch eine weitere Bemerkung Ludiovica Modugnos verblüffte mich. Sie schilderte ein Erlebnis, das in die 1970er zurückreicht, als sie gelegentlich Hanna Schygulla synchronisierte. Während der Arbeit an »Die Ehe der Maria Braun« entdeckte sie, dass ihr der Beruf auch die Chance gibt, eine Schauspielerin genau zu studieren und von ihr zu lernen. Das war gewiss nicht nur eine Frage der Technik, sondern eben auch ein Studium der Hingabe, mit der diese sich in den Dienst ihrer Figur stellte. Die Synchronarbeit als Begegnung: So etwas habe ich zuvor noch nicht aus dem Mund einer Sprecherin gehört.

Vor unserem Gespräch war ich neugierig, weshalb die italienischen Synchronsprecher vor einigen Jahren streikten (an den Gagen konnte es nicht unbedingt gelegen haben – siehe "Stimmen im Ausstand" vom 3.7. 2014). Sie erinnerte sich nicht mehr, ihr Berufsstand habe so oft gestreikt, angefangen mit dem Protest gegen die Gepflogenheit von Regisseuren wie Fellini, ohne Direktton zu drehen, um dann später die Dialoge umzuschreiben und sämtliche Stimmen nachzusynchronisieren. Während der Diskussion jedoch fiel ihr der Anlass des damaligen Streiks wieder ein: Es bliebe immer weniger Zeit, um eine anständige Synchronfassung herzustellen, der ökonomische Druck erhöhe sich rasant und ginge auf Kosten der Sorgfalt. Diese Klage ist auch hier zu Lande oft zu hören; sie rührt an Ethos und Stolz einer Branche, die häufig geringgeschätzt wird.

Wir hatten ein gutes Publikum im Italienischen Kulturinstitut. Die Fragen und Wortmeldungen waren vorurteilslos. Sie zeugten von Sachverstand (ein Herr beklagt den Raumklang in vielen Synchronfassungen, der ihm atmosphärisch falsch vorkommt), vor allem aber von der Verbundenheit, die zu Synchronstimmen entstehen kann. Meine Gesprächspartnerinnen und viele ihrer Landsleute im Publikum trauerten der alten Stammstimme von Woody Allen nach, an deren Klang sie über Jahrzehnte gewohnt waren. Da war ein Pakt entstanden, der so eng vielleicht nur in Italien geschlossen werden kann.

Von der Stimmung, die mich an diesem Abend beschlich, mochte ich mich nicht so schnell lösen. Kaum daheim angekommen, suchte ich ein Buch zum Thema Synchronisation heraus, das seit Monaten unter Stapeln von Manuskripten begraben lag. Was ich darin entdeckte, berichte ich Ihnen beim nächsten Mal.

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