Helden unserer Zeit

Wieland Speck, Paz Lázaro, Michael Stütz, Andreas Struck

Vor ein paar Tagen kam eine Pressemitteilung der Berlinale, die mich schwer beeindruckte. Das lag weniger an ihrem Inhalt (es ging um personelle Veränderungen im Panorama), sondern an dem imposanten Foto, mit dem sie aufgemacht war. Es sieht aus, als hätte Annie Leibovitz es für »Vanity Fair« aufgenommen.

Auf ihm ist jedoch keine Schar von Hollywoodstars abgebildet, sondern die neue Führungsriege der Sektion. Selbstbewusst stellt sie sich dem Objektiv der Kamera. Sie darf sich im besten Licht präsentieren. Auf dem grauen Hintergrund sind zwei Schatten drapiert, die dezent den Blick ins Zentrum lenken. Die Vierergruppe strahlt eine ruhende Dynamik aus, die von Stabilität und Aufbruch kündet. Der Gesichtsausdruck ist ernst. Sie sind sich der Verantwortung bewusst, die sie tragen. Herausfordernd fixieren sie den Betrachter. Zweifellos sind sie ihrer Aufgabe gewachsen. Die Vier haben ihre Kleidung präzis aufeinander abgestimmt, die Farben bleiben streng im Spektrum gedeckter Blau- und Grautöne. Sie signalisieren Geschlossenheit.

Die Bildunterschrift unterstreicht den Eindruck geballter, einträchtiger Kompetenz. Sie stellt die Porträtierten in ihrer jeweiligen Funktion vor: Sektionsleitung und Kuratorin, Kurator und Programmmanager, Kurator und Redaktion der Programmkommunikation. Meine Hoffnung, dieser Kuratorenanhäufung wohne ein Gran Selbstironie inne, wurde vom entschlossenen Blick der Versammelten umgehend entmutigt. Offenbar legt man beim Panorama großen Wert auf diese Distinktion.

Wieland Speck, der nach 25 Jahren die Leitung abgibt, figuriert nun als Berater des offiziellen Programm. Das ist eine lange Zeit und bedeutet, dass er schon vor Anbruch des Kuratorenzeitalters verdienstvolle Programmarbeit leistete. Allerdings kommt auch er in der Pressemitteilung zu gehörigen Kuratorenehren: Festivaldirektor Dieter Kosslick dankt ihm dafür, dass er im letzten Vierteljahrhundert mehr als 1800 viel versprechende Filmwerke kuratiert hat und stellt in Aussicht, dass er in zwei Jahren das Jubiläumsprogramm des Panorama kuratieren wird. Kaum ein Satz der Mitteilung kommt ohne diesen Begriff aus; wahlweise als Verb oder Substantiv. Wer weiß, ob sich Wieland Speck beim Gegenlesen nicht auch selbst die Frage gestellt hat: Wie kuratiert man eigentlich 1800 Filme?

Für mich schwebt da zu viel Weihrauch in der Luft. Ich bin nicht nur des inflationären Gebrauchs dieses Modeworts überdrüssig. Seine Anwendung auf den Filmbereich scheint mir generell suspekt. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass Leute, die zuvor einfach Filmprogramme zusammenstellten, nun auf diesen vermeintlichen Zuwachs an Nimbus nicht mehr verzichten können. Der Titel verspricht, im Umgang mit der Kreativität Anderer eine komfortable Augenhöhe zu erreichen. Das muss nicht in jedem Fall Wichtigtuerei sein: Wieland war zuvor Filmemacher und wird es hoffentlich auch wieder werden. Vorbehalte sind dennoch angebracht. Gute Kuratoren kümmern sich um die Kunst. Demut steht ihnen dabei gut an. Sie sind keine Autoren, keine Urheber. Aber der Titel impliziert längst auch Selbstgenügsamkeit: die Genugtuung, sich ausdrücken zu können in Konzeption und Auswahl.

Mein eigenes Metier erzieht demgegenüber zu Bescheidenheit. Dem Kritiker stehen derlei Instrumente der Selbstaufwertung nicht zu Gebot. Oder würden Sie einem Autor vertrauen, der sich als, sagen wir mal, Großkritiker bezeichnet? Dieser Beruf hat andere Vorzüge, etwa den unumwundener Klarheit. Ich darf beispielsweise feststellen, dass Dentisten auch nur Zahnärzte sind. Zudem darf ich Leuten, die Filmprogramme gestalten, bescheinigen, dass sie sich einer großartigen Aufgabe widmen. Sie sind Vermittler. Ihre Arbeit besitzt eine Unmittelbarkeit, die dem Kritiker in der Regel verwehrt ist: Sie stellen eine Begegnung zwischen Filmen und Publikum her und hoffen, dass dabei der Funke überspringt. Alles, was sie darüber hinaus für sich beanspruchen, erscheint mir als Anmaßung.

Auf die Etymologie des Begriffs kann ich mich da allerdings nur bedingt berufen. Sie eröffnet einen großen Spielraum. Der lateinische »curator« ist ein Pfleger, ein Vertreter oder Vormund. Auf Letzteres dürfte sich beispielsweise Adam Szymczyk, der Kurator der diesjährigen »documenta« durchaus zurecht berufen. Der Vorwurf der »curatorial malpractice«, des kuratorischen Missbrauchs, den ein New Yorker Museumsleiter angesichts seines Konzepts bei der Eröffnung formulierte, muss ihn mithin nicht anfechten. Meine Schadenfreude war indes groß, als ich davon las, bestärkte mich diese Kritik doch in dem Verdacht, dass wir uns auf einem Terrain befinden, wo Hochmut blühen darf; wenn auch nicht immer ungestraft.

Es gibt eine immense Bereitschaft, sich blenden zu lassen. In der bildenden Kunst hat die Figur des Kurators eine entsprechend spektakuläre Karriere gemacht. Geisterhaft schnell avancierte sie zu einer Instanz, die die zeitgenössische Kunst (und vor allem die Angst vor ihr) zu bannen versteht. Lars-Henrik Gass hat diese Entwicklung schlüssig in seiner Besprechung eines Manifests von Hans Ulrich Obrist, einem Star der Szene (https://www.freitag.de/autoren/lars-henrik-gass/der-kurator-als-medium.), dargelegt. Dass der Kurator der Kulturpolitik derzeit noch als Allheilmittel gilt, führt die Berufung Chris Dercons zum Intendanten der Berliner Volksbühne vor Augen. Einer internationalen Marke wie ihm traut man schlicht alles zu. Ihn umgibt die Aura eines Managers, der mit allen Wassern der Globalisierung gewaschen ist. Unter dem Aspekt des Stadtmarketing ein echter Besetzungscoup. Mit inhaltlichen Aussagen wollte der Aussstellungsmacher nur spät und widerwillig herausrücken. Sie nahmen sich dann ziemlich quallig aus. Wenig mehr als Gemeinplätze habe ich seither Interviews mit ihm nicht entnehmen können. Vielleicht ist ja genau dieses Vage, Unbestimmte gewollt. Und womöglich zählen hier andere Qualitäten mehr, etwa die internationale Vernetzung.

Star-Kuratoren gibt es im Filmbereich bisher noch nicht, aber das kann ja noch werden. Vielleicht hat das Panorama mit dem Fotoshooting den Anfang gemacht. Glamour hat das Resultat ohne Zweifel. Aber ich bin zuversichtlich, dass den Beteiligten ihre Verherrlichung im tiefsten Inneren peinlich ist. Sie stellen ein Programm zusammen, in dem sie das Angebot aktueller, zur Sektion passender Filme filtern und reduzieren. Das ist eine anstrengende, aber nicht unbedingt kuratorische Arbeit. (Mein Rechtschreibprogramm rebelliert bei diesem Adjektiv.) Die verlangt mehr als Auslese des Augenblicklichen. Sie stellt Kontexte und ein dicht gewobenes Netz der Bezugspunkte her, in denen Filme unterschiedlichster Herkunft miteinander in Dialog treten können.

Der verstorbene Hans Hurch verstand sich darauf brillant. Im Hauptprogramm der Viennale, das sich wesentlich aus Entdeckungen auf den A-Festivals Berlin, Cannes, Locarno und Venedig speiste, ließ er plötzlich verwehte Klassiker wie »Wilder Strom« von Elia Kazan auftauchen. Ich erinnere mich gut an den Jahrgang 2004, in dem er »Mondovino« von Jonathan Nossiter und Hubert Saupers »Darwin's Nightmare« zu einem paranoiden Globalisierungsdoppel zusammen spannte. Die Bilder sanft im Wind wogenden Ähren aus Mark Milgards elegischem Debütfilm »Dandelion« ließ er zu einem Echo von Alexander Dovshenkos lyrischem Meisterwerk »Erde« aus dem Jahre 1930 werden und damit das amerikanische Independent- und sowjetische Revolutionskino unversehens ein Bündnis eingehen. Den Festivaltrailer hatte er von Agnes Vardà gestalten lassen, in dem auf ganz andere Weise das Motiv der Naturverbundenheit anklang. (Mit diesem besonderen gestalterischen Instrument beschäftige ich mich ausführlich in »Auf der Suche nach dem perfekten Zuschauer« vom 29.10.2014.)

Als ich gestern den Suchbegriff »kuratieren« eingab um zu sehen, wie ich ihm im Laufe der Jahre verwendet habe (gar nicht so häufig), stieß ich auf meinen Festivalbericht von der Viennale 2007. Es ist einer der wenigen Fälle, wo ich das Verb nicht als wertfreie Tätigkeitsbeschreibung benutzte, sondern ihm eine positive Bedeutung gab. Das war womöglich ein Fehler, denn Hans fühlte sich zutiefst geschmeichelt. Aber damals tat ich das noch in aller Unschuld: Es war noch nicht in Mode gekommen.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt