Hautfarbe:nobel

Sidney Poitier, Harry Belafonte, und Charlton Heston (1963)

Ich fand es wunderbar, als er in den späten 1980ern wieder vor die Kamera zurückkehrte. So konnte er wieder ein Leinwandstar der Gegenwart werden und musste nicht mehr nur ein Schauspieler sein, dessen alte Erfolge man im Fernsehen sah. Seine letzte Kinorolle lag damals elf Jahre zurück, seine letzte denkwürdige Rolle noch ein paar Jahre länger.

Sidney Poitier sah in »Mörderischer Vorsprung« von 1988 so glänzend aus, wie es das Publikum seit Jahrzehnten gewohnt war. Bei seinem spektakulären Comeback wurde er gefeiert als der "schwarze Cary Grant": als eine alterslose Ikone. Heute ginge einem das Adjektiv wohl nicht mehr ganz so leicht über die Lippen. Andererseits lässt sich auch heute in Hollywood kein größeres Adelsprädikat vorstellen als dieser Vergleich. Schade nur, dass dieses Comeback eintönig geraten sollte: Mit Ausnahme des idealistischen Hackers in „Sneakers – Die Lautlosen“ war er nach Roger Spottiswoodes Thriller auf den Part des hochrangigen, integren FBI-Agenten festgelegt, namentlich in »Little Nikita«, »Der Schakal«. Im Fernsehen hatte er andere, zum Teil prestigeträchtigere Rollen (Nelson Mandela, Thurgood Marshall, der erste afro-amerikanische Richter am obersten Bundesgericht). Aber das Zusammenspiel von historischen game changers und federführenden Ermittlern bestätigte immerhin, welch enorme und natürliche Autorität dieser Schauspieler ausstrahlte.

Davor brillierte er auf der Leinwand in Rollen, in denen er aufmerksam, wohlerzogen, hilfsbereit und findig war; bescheiden musste er nur selten sein. Mehrere Jahrzehnte lang verkörperte er das gute Gewissen des liberalen Hollywood. Für die Bürgerrechtsbewegung leistete er Schrittmacherdienste. (Mir scheint, dass ich ihn auf der Berlinale für einige Sekunden in Ausschnitten einer Wochenschau vom Pariser Mai 1968 sah, in dem hervorragenden Essayfilm »No intenso agora«/ »In the intense Now« des Brasilianers Joao Moreira Salles.) Seine Figuren waren Musterbeispiele der Integration und nahmen meist höflich Rücksicht auf die Werte auch eines konservativen Publikums.

Die ganze Legende Sidney Poitiers scheint mir in einer Meldung aus den Vermischten Seiten aufgehoben zu sein, die ich aus den späten 70ern erinnere. Ein kleiner Junge hatte sich auf einem Flughafen verlaufen und sprach einen Fremden an. Der wies ihm bereitwillig den Weg, wollte allerdings wissen, ob er ihn angesprochen hätte, weil er ein bekannter Schauspieler sei. "Nein", erwiderte der ahnungslose Bub. "Das habe ich getan, weil sie so sympathisch aussehen."

Heute vor 90 Jahren wurde er in Miami geboren und wuchs in Nassau auf den Bahamas auf. Sein karibischer Akzent sollte sich zu Beginn seiner Karriere als ein Handicap erweisen, als er sich nach dem Krieg beim "American Negro Theater" in New York bewarb. Für amerikanische Ohren war er unverständlich. Rasch verlieh er seiner Diktion urbanen Schliff. Sein Kinodebüt stand unter guten Vorzeichen. Joseph L. Mankiewicz, der kultivierte Starregisseur der 20th Century Fox, verpflichtete ihn 1950 für die Rolle des ehrgeizigen Assistenzarztes, der sich in »Der Hass ist blind« eines rachsüchtigen Rassisten (Richard Widmark) erwehren muss. (Widmark sollte danach sein häufigster Leinwandpartner werden, ein beklemmend neurotisches Gegenwicht zu Poitiers liberaler Besonnenheit.) Mankiewicz‘ Film funktioniert noch heute als ein Lehrstück, wie sich soziale Konflikte mit Vernunft und Intelligenz lösen lasssen. Wie eine Blaupauise sollte dies Poitiers weitere Karriere vorzeichnen. Er war überzeugend als Autoritätsfigur mit einem klaren Blick für die gesellschaftlichen Realitäten: als Arzt, Lehrer, Polizist oder Psychologe, der sich seinen sozialen Status hart erarbeitet hatte und stets höher qualifiziert war als seine weißen Konkurrenten. Anstand und Noblesse saßen ihm wie eine zweite Haut. Er trug mitunter schwer an der Last, immer nur perfekt sein zu müssen, erhoffte sich das Privileg, einmal auch einen Bösewicht spielen zu dürfen. Erst Richard Brooks vertraute ihm ambivalente Rollen an: als arroganten, aber läuterungsfähigen Anführer der Jugendgang in »Saat der Gewalt« (1955) und als Rädelsführer des Mau-Mau-Aufstandes in »Flammen über Afrika« (1957). In Raoul Walshs Südstaaten–Melo »Weint um die Verdammten« (1957) spielte er den stolzen Lieblingssklaven Clark Gables, der die Gesten der Unterwürfigkeit mit solch laszivem, provozierendem Zögern ausstattet, als läge jede Entscheidung stets allein bei ihm.

Poitiers Leinwandsouveränität verdankte sich seinem Talent, jeder Gebärde Selbstverständlichkeit zu verleihen. Sein Spiel ist verhalten, unterstreicht die Selbstbeherrschung seiner Figuren. Seine Figuren können selbstbewusst für sich einstehen; eine Bedrohung oder gar erotische Herausforderung für die weiße Gesellschaft durften sie nie sein. Er kam zu früh, um ein Sexsymbol werden zu können. Es mutet heute haarsträubend an, wie nachdrücklich die Drehbücher die erotische Ausstrahlung dieses schönen Mannes dementieren. Als Maurenfürst gebietet er in »Raubzug der Wikinger« (1963) zwar über einen ansehnlichen Harem, hat aber ein Keuschheitsgelübde abgelegt. In »Rat mal wer zum Essen kommt« beruhigt es die Eltern seiner Verlobten ungemein, dass für ihn Sex vor der Ehe nicht in Frage kommt. Erst in der Komödie »Liebling« (die er selbst produziert und mitgeschrieben hat) durfte seine Figur 1968 ihre Sexualität ausleben.

Da stand er auf der Höhe seines Ruhms, war durch den enormen Kassenerfolg von »In der Hitze der Nacht«, »Rat mal, wer zum Essen kommt« und »Junge Dornen« (To Sir, with Love) zum Kassenmagneten Nr. 1 in den USA geworden. Er konnte Millionengagen fordern und wusste, seine Macht in Hollywood zu nutzen. Gemeinsam mit Steve Mc Queen, Paul Newman und Barbra Streisand gründete er die Produktionsfirma "First Artists". Als mit dem Aufkommen des Blaxploitation-Kinos plötzlich ruppigere schwarze Helden gefragt waren, verlegte er sich mit beachtlichem Erfolg, aber ohne nennenswertes Temperament auf die Regie. Als er vor einigen Jahren mit dem Ehrenoscar ausgezeichnet wurde, war das keine verspätete Geste der Wiedergutmachung wie bei Cary Grant. Er hatte längst schon einen gewonnen, 1964 für »Lilien auf dem Feld«. Damit dient er nicht als historisches Gegenargument zur #OscarsSoWhite-Kampagne. Sidney Poitiers Bestimmung war es einfach, der Zeit stets voraus zu sein.

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