Freihandel

»Zoomania« (2016). © Walt Disney

Im vergangenen März standen in China zahlreiche Eltern, Tierhandlungen und Artenschützer einer unerwarteten Herausforderung gegenüber. Schuld daran war »Zoomania« von Disney, einem Konzern, der bekanntlich seit Jahrzehnten mit der Tierliebe seines Publikums ein Riesengeschäft macht.

Mit einem Mal wünschten sich zehntausende von Kindern einen Rotfuchs als Haustier, weil sie den schlauen Nick Wilde in ihr Herz geschlossen hatten. Angesichts der strengen Ein-Kind-Politik ist der Wunsch nach einem pfiffigen Spielkameraden natürlich verständlich. Allerdings wachsen Rotfüchse mit der Zeit zu einer beträchtlichen Größe heran, die ihren Verbleib in den üblichen Zwei-Zimmer-Wohnungen problematisch werden lässt. Überdies weiß man ja nicht, ob die Tiere sich überhaupt hinreichend domestizieren lassen. Allerdings bietet der Disney-Film eine handlichere Alternative an, nämlich Finnick, den temperamentvollen Kumpan von Nick Wilde. Er gehört der Rasse der Fenneck an (ich musste den Namen auch erst nachschlagen), die nicht größer als Hauskatzen werden und putzig große Ohren besitzen. Die chinesische Suchmaschine Baidu verzeichnete im März täglich etwa 6000 Nachfragen. Einige Händler boten die aus Afrika stammenden Füchslein zu Preisen von 3000 Dollar aufwärts an. Allerdings steht der Fenneck unter Naturschutz und darf nur unter strengen Bedingungen eingeführt und dann nur in Zoos gehalten werden. Wir wissen nicht, wie viele Eltern sich davon abschrecken ließen. Das Dilemma wäre ihnen wohl erspart geblieben, wäre »Zoomania« in China nicht zum erfolgreichsten Animationsfilm aller Zeiten avanciert. Allein in den ersten drei Wochen spielte er 170 Millionen US-Dollar ein.

Wie groß und verlockend der dortige Kinomarkt geworden ist, hat mich an dieser Stelle bereits vor gut anderthalb Jahren (siehe »Tigersprung« vom 30. Juli 2015) beschäftigt. Als in der letzten Woche »The Great Wall«, die mit einem geschätzten Budegt von 140 Millionen Dollar bislang teuerste chinesische Filmproduktion, in unsere Kinos kam, richteten auffallend viele Kritiken ihren Fokus auf eben dieses Thema – nicht nur, weil sich über Zhang Yimous Film ansonsten wenig Erfreuliches sagen ließe. Die Umbrüche dieses expandierenden Marktes sind so spektakulär und vielfältig, dass sie einer erneuten Analyse wert sind.

Zwar wuchs er 2016 längst nicht mehr so explosiv wie in den Vorjahren, als die Umsätze der Kinos um 35 respektive 48 Prozent stiegen. Andererseits ist ein Wachstum von 3,7 % nicht zu verachten. Und obwohl die chinesische Wirtschaft insgesamt in unsicheres Fahrwasser zu geraten droht, bleibt das Land für Hollywood vorerst der wichtigste Exportmarkt: Der Anteil am Kasseneinspiel lag zuletzt bei fast 42 %. Davon bleibt für die US-Studios nur ein Viertel übrig, lohnt sich für sie dennoch. Von der Expansion profitieren nicht zuletzt dahin dümpelnde Franchises wie »Warcraft« und »Terminator«; das chinesische Einspielergebnis von »Pacific Rim« dürfte die Produzenten zu einer Fortsetzung ermutigen. Demnächst könnte die Quote für ausländische Filme erhöht werden, die aktuell 34 Filme beträgt (vor ein paar Jahren waren es noch 20).

Wang Jianlin, der reichste Mann Asiens, baut in Qingdao für sechs Milliarden Dollar einen Studiokomplex, der 2018 endgültig fertiggestellt werden soll, in dem aber bereits Teile von »The Great Wall« gedreht wurden. Seine Dalian Wanda Group ist mit 41000 Leinwänden der weltweite größte Kinokettenbetreiber. Derweil hat er die US-Firma »Legendary« gekauft, die Zhang Yimous Film mitproduziert hat. Zeitweilig sah es so aus, als würde er auch einen Hollywood-Major ins Visier nehmen - Paramount schien der wahrscheinlichste Kandidat -, sah dann aber von den Plänen ab, da in diesem Fall das Anti-Trust-Gesetz von 1948 greifen könnte, das die Studios zwang, sich von ihren Kinoketten zu trennen. Momentan scheint er eine ähnliche Politik zu verfolgen wie der in Peking ansässige Videospiel-Hersteller »Perfect World«, der im letzten Februar ankündigte, dass er 450 Millionen Dollar in 50 Universal-Produktionen investieren will. Der wachsende chinesische Einfluss in Hollywood beschäftigt mittlerweile auch den US-Kongress, der auf Drängen von 16 Abgeordneten einen Untersuchungsausschuss einrichten will. Ob Donald Trump an seinem Wahlversprechen eines Handelskriegs mit China festhalten wird, muss sich noch zeigen. Auf dem Wirtschaftsforum in Davos beklagte jedenfalls gestern Staatspräsident Xi Jinping bitter dessen Protektionismus und warb verzweifelt um eine Öffnung der Märkte.

Die Volksrepublik ist zwar eine Filmgroßmacht, hat aber nach wie vor ein massives Exportproblem. Die heimischen Blockbuster, vor allem Fantasyfilme und Komödien, funktionieren im Ausland nicht. »The Great Wall« hätte hier ein Einfalltor öffnen sollen. So recht geklappt hat das nicht. Zhang Yimous Schlachtengemälde könnte für seine Investoren eine ähnlich ruinöse Veranstaltung werden wie die Eröffnung der Olympischen Spiele, die er 2008 ziemlich großspurig inszenierte.

Aber auch auf dem chinesischen Binnenmarkt scheint nicht alles mir rechten Dingen zuzugehen. Im letzten Jahr häuften sich Zeitungsberichte über gefälschte Bilanzen. Es finden so genannte »Geistervorstellungen« statt, bei denen die Produzenten sämtliche Kinokarten ankaufen; Zuschauerzahlen einiger Filme wurden aus strategischen Erwägungen anderen zugeschlagen. Offenbar werden nicht nur negative Kritiken einheimischer Filme zensiert und verschwinden umgehend von den Websites, sondern auch Statistiken über den Kinobesuch.

In dieser zweifelhaften Gemengelagen kommen freilich auch gute Nachrichten aus China. Im November las ich über eine Initiative, die Vertriebsstrukturen unabhängiger Filme zu stärken. Zu diesem Zweck wurde die »National Arthouse Film Alliance« gegründet, bei der sich ein Halbdutzend Gesellschaften um das staatliche Filmarchiv gruppieren. Darunter befinden sich die »Wanda Cinema Line«, die halbstaatliche »Huxia Film Distribution« und »Fabula«, die Produktionsfirma von Jia Zhang-ke. Für ihn, dessen Filme zuvor oft der heimische Zensur zum Opfer fielen, mithin in halb-öffentlichen und -legalen Vorführungen und auf als Raubkopien auf DVD Verbreitung fanden, ist dies eine willkommene Alternative zu den bisherigen Strukturen: »In China werden in jedem Jahr rund 1000 Filme produziert«, sagte er in einem Interview, »von denen aber nur 200 einen regulären Verleih finden. Das liegt weniger an der Zensur, sondern ist eine Frage des Zugangs zum Markt.« Der Regisseur hat in den Bau von vier Kinos investiert, davon zwei in seiner Heimatprovinz Shanxi, eines in der Touristenmetropole Pingyao und ein weiteres in Shanghai. Dazu ist er eine Partnerschaft mit dem Verleiher MK2 eingegangen, der in Frankreich Jia Zhang-kes Filme herausgebracht hat und über einschlägige Erfahrung im Vertrieb von Autorenfilmen verfügt. »Es wird Zeit«, meint der Regisseur, »dass das Kinogeschäft in China sich endlich von einer Kultur der Quantität zu einer der Qualität wandelt.« Wer weiß, vielleicht löst sich damit auch das Exportproblem?

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