Die Gabe der Familiarität

Jonathan Demme am Set von »Ricki – Wie Familie so ist« (2015). © Sony Pictures

Es war eine wunderbar erratische Karriere, bis zum Schluss. Jonathan Demme hat alles Mögliche ausprobiert. Keine Richtung, die er einschlug, war unwiderruflich festgeschrieben. Ich glaube, er folgte einfach seinen Leidenschaften, und die waren facettenreicher als bei jedem anderen Filmemacher, der in den letzten Jahrzehnten in den USA arbeitete.

Was dieses vielstimmige Werk zusammenhält oder sich zumindest als roter Faden hindurch zieht, war die Begeisterung für das, was vor seiner Kamera stattfand. Ich denke, er liebte einfach Darsteller – gleichviel, ob es sich um um eine Band wie die Talking Heads drehte, einen Performancekünstler wie Spalding Gray in »Swimming to Cambodia« oder eben um Schauspieler, aus denen er oft ihr Bestes hervorbrachte. Demme war ein großzügiger Betrachter und feinnerviger Erzähler. Nur 73 Jahre ist er geworden. Das ist kein Alter;erst recht nicht für einen Filmemacher, dessen Neugierde so unstillbar schien.

Ich weigere mich, »Das Schweigen der Lämmer« als den Höhepunkt seiner Karriere zu betrachten. Der ist natürlich meisterhaft, ein Meilenstein der Rehabilitierung des Genre-Kinos und sozusagen perfekt. Aber ich bezweifle, dass dieser Regisseur sich mit der Perfektion zufriedengab. Mir scheint, ihm lag das Vorläufige mehr. Der Perfektion haftet etwas Abgeschlossenes an. Wie kann man danach noch auf dem Sprung sein, offen, leichtfüßig? Als nächsten Spielfilm hat er »Philadelphia« gedreht, der gerade noch diesseits des Prestigefilms liegt, aber zwischendrin einen seiner schönsten Dokumentarfilme, »Cousin Bobby«, über einen weißen Priester in Harlem, mit dem er tatsächlich verwandt war und sich bestimmt auch verwandt fühlte: ein stiller, charismatischer Aktivist, wie es viele Protagonisten seiner Dokumentationen waren. Man lernt Demmes Cousin gewissermaßen gleichzeitig mit dem Filmemacher kennen, dessen Neugier eben auch vor der eigenen Familie nicht Halt machte. Der stiernackige Bobby hatte im Anschluss einen Kurzauftritt in »Philadelphia«, der mir heftige Wiedersehensfreude bereitete. Demme kam gern auf Darsteller zurück, die er mochte, etwa Paul Le Mat, Charles Napier oder Ron Vawter.

Natürlich fing er in der Talentschmiede Roger Cormans an, wie alle großen US-Regisseure seiner und der vorangegangenen Generation. Die Biker- und Frauengefängnis-Filme, die er für ihn drehte, werden von Spezialisten hoch geschätzt. Ich entdeckte ihn, indoktriniert von der Zeitschrift »Film Comment«, erst danach. Sein erster »seriöser« Film »Citizen's Band« (Flotte Sprüche auf Kanal 9) handelt von CB-Funkern und kündigt an, wie wichtig Gemeinschaft und Austausch für diesen Regisseur werden sollten. Roberts Blossom hat hier eine berührende Szene als gebrechlicher Vater, der per Funk wieder Kontakt aufnehmen kann mit seinen ehemaligen Kollegen. Teilhabe ist ein Grundimpuls in Demmes Kino.

Ich mochte seinen Thriller »Tödliche Umarmung« sehr, der oft gewisser Drehbuchschwächen gescholten wird, dafür aber Roy Scheider und eine tolle Musik von Miklós Rósza aufzuweisen hat. Er demonstrierte früh seine Wendigkeit, die ihn zwischen den Genres und Disziplinen navigieren ließ. Auch Demmes »Columbo«-Episode »Mord à la Carte« schätzte ich damals. Heute geniert mich die unselige Liebäugelei Peter Falks mit der Geisha ganz furchtbar. Aber der Gemeinschaftssinn, der zwischen den Restaurantbesitzern herrscht, ist ein schönes Demme-Element. Und die Schlussszene, in der Falk und Louis Jourdan gemeinsam kochen und klarstellen, dass sie sich keinen Funken sympathisch sind, ist grandios.

Sie ist ungewöhnlich für Demme, der seine Figuren gern mit Wohlwollen umfing. Dies kommt besonders in »Melvin und Howard« zum Tragen, an den ich in den letzten Wochen oft wegen Warren Beattys Howard.Hughes-Film denken musste. Das alles waren kleine, unabhängige Filme, bei denen man sich fragte, ob sich die Sensibilität dieses Regisseurs als robust erweisen würde, wenn er erst einmal Studiofilme mit großem Budget drehte. »Gefährliche Freundin« entkräftete diese Sorge. (Wie großartig Melanie Griffith und Ray Liotta seinerzeit waren!) Allerdings zeichnete sich schon damals ab, dass er gute Drehbücher brauchte. Da hatte er meist ein gutes Gespür. Als Beleg für die Autorentheorie taugte er nie so recht. Warum sollte er auch?

Mit der Satire »Die Mafiosi-Braut« schien er dann glücklich im Mainstream angekommen zu sein. Martin Scorsese verabscheute ihn übrigens wegen der karikierenden Zeichnung von Italo-Amerikanern und machte das nicht zuletzt am Einsatz von Rosemary Clooneys »Mambo Italiano« fest (allerdings ein schwungvoller Auftakt!). Demme selbst nahm den Film nicht ganz so ernst. Ich erinnere mich noch genau, mit welcher Ironie er sich beim Interview in Deauville den Originaltitel »Married to the Mob« auf der Zunge zergehen ließ. Er war, wie nicht anders zu erwarten, ein erfreulicher Gesprächspartner. Mich interessierte besonders seine Zusammenarbeit mit dem Kameramann Tak Fujimoto, von der ich den Eindruck hatte, es ginge verstärkt darum, eine filmische Entsprechung zu Graffitis zu finden. Die anderen Journalisten in der Gruppe fragten allerdings hauptsächlich nach seinen Musik-Dokumentationen.

Für die bin ich dank eines konservativeren Musikgeschmacks immer ein wenig taub geblieben – allerdings gefiel mir sein Segment von »Red, hot and blue«, wo zeitgenössische Versionen von Cole-Porter-Klassikern zu hören sind. Die Einnahmen der Show und des Albums gingen an die AIDS-Hilfe. Ja, Jonathan Demme war auch ein engagierter Filmemacher, dem Zynismus fremd war. Er erkannte ein wichtiges Anliegen und hielt daran fest. Einen seiner Filme über Haiti mochte ich sehr, den anderen würde ich gern mal sehen, ebenso wie sein Jimmy-Carter-Porträt.

Seine Filmographie umfasst unglaubliche 62 Titel, darunter allerdings eine Menge Musikvideos. Eine solch lange Liste kommt nur zusammen, wenn man unentwegt aufgeschlossen bleibt. Neben seiner Rückkehr zum Independent-Kino (»Rachels Hochzeit« und »Ricki«) drehte er in den letzten Jahren unter anderem einen Theaterfilm nach Ibsens »Baumeister Sollness«, eine Doku über eine Nachbarschaft in New Orleans, die Hurricane Katrina überlebte und den Pilot zu einer Amazon-Serie, mit der die Zeitschrift »The New Yorker« den Anschluss an das Digitalzeitalter sucht. Ungeheuerlich, wofür sich dieser Mann alles interessierte!

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