The Day the Clown died

Jerry Lewis auf dem Filmfestival in Cannes (2013). Foto: Georges Biard

Vor einigen Jahren erlebte ich bei der Einreise in die USA einmal eine Konfrontation der Kulturen, an der er nicht ganz unschuldig war. Bei der Passkontrolle in New York wurde ich von zwei Beamten aufgefordert, ihnen in ein Büro zu folgen. Das war in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, mithin vor dem 11. September, und da ich zeitlebens nie Bartträger gewesen bin, war ich ohnehin unverdächtig, ein Terrorist zu sein.

Meiner Einreise stellte sich eine andere Hürde in den Weg. Aus Gedankenlosigkeit hatte ich auf die Frage nach dem Grund meiner Reise mit »beruflich« geantwortet. Sogleich trat der amerikanische Protektionismus auf den Plan: Würde ich durch meine Arbeit nicht einem einheimischen Journalisten den Job wegnehmen? Diesen Verdacht glaubte ich, leicht ausräumen zu können. Das Verfahren zog sich dennoch hin und meine Nervosität, den Anschlussflug nach Los Angeles zu verpassen, stieg mit jeder Minute. Dann allerdings wurde ich an einen jovialen Beamten verwiesen, der mir versicherte, ich hätte nur eine Gebühr zu entrichten. Er setzte ein süffisantes Lächeln auf, dem nicht eindeutig anzumerken war, ob es Neugier oder Herablassung entsprang, als er mir eine Frage stellte, die ihn schon seit Jahren beschäftigte: »Stimmt es wirklich, dass Ihr da drüben Jerry Lewis bewundert?"

Die Frage rührte mich, weil sie schon damals anachronistisch erschien. Natürlich wusste ich, dass Lewis seit den 50ern ein transatlantischer Zankapfel gewesen war. US-Kritikerpapst Andrew Sarris etwa geißelte die Versuche französischer Kollegen, im Werk des Komikers den amerikanischen Nationalcharakter dingfest zu machen, als anmaßend. Unter seinen Kollegen war allenfalls Jonathan Rosenbaum zu der heroischer Einsicht fähig, die Abneigung seiner Landsleute sei darin begründet, dass er ihnen die eigene Unreife schonungslos vor Augen führe. Vielleicht steckte in der Frage des Zollbeamten ja auch eine gewisse Nachscham über die Scharen heimischer Kinogänger, die vor Jahrzehnten in so alberne Filme gerannt waren.

So sehr es mir auch schmeichelte, für einen französischen Filmkritiker gehalten zu werden, konnte ich den europäischen Standpunkt damals doch noch nicht mit dem gebührenden Nachdruck vertreten. Einige von Lewis' Filmen hatte ich in dem Alter und an dem Ort gesehen, wo man sie am besten versteht: als Kind und im Kino. Aber später ließ mein Interesse an ihm empfindlich nach. Meine Bekehrung, die ich im letzten Jahr aus gegebenem Anlass schilderte (siehe »Eben noch ein Kind – und jetzt schon 90!« vom 16.3.2016), stand noch aus.

Nun, da er mit 91 Jahren gestorben ist, wünschte ich, seinerzeit am New Yorker Flughafen resolutere Überzeugungsarbeit geleistet zu haben. Immerhin hat Lewis sich für uns Zuschauer immer mächtig ins Zeug gelegt. Jedes Jahr brachte er zwei Filme zur Ferienzeit heraus, einen im Sommer und einen zu Weihnachten, war also neben Walt Disney der einzige Hollywoodkünstler, der sich nachdrücklich um das Marktsegment der Kinder bemühte. Er trat in unzähligen Fernsehshows auf, ging ständig auf Tournee und absolvierte, selbst wenn er an einem Drehbuch schrieb, in der Regel noch ein, zwei Shows pro Abend. Als Actor-Director revolutionierte er nebenbei auch noch die Filmtechnik und erfand etwas, ohne das seither kein Regisseur auf der Welt mehr auskommt: den Videomonitor, auf dem sich jeder Take umgehend überprüfen lässt.

Sein Werk bietet schon reichlich Anlass zur Rehabilitation. Zuvor müssen freilich einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden. Lewis' Frauenbild ist vormodern; unter seinen chronisch unterbeschäftigten Partnerinnen kommt nur Stella Stevens in »Der verrückte Professor« dem nahe, was man ein Subjekt nennen könnte. Eifersüchtig wachte der Komiker darüber, dass er allein und niemand sonst für Katastrophen verantwortlich ist. (Der Prolog von »Zu heiß gebadet« stellt eine schöne Ausnahme dar.) Leider gelang es ihm ab Mitte der 1960er auch nicht überzeugend, eine neue Leindwandpersona zu entwickeln, nachdem er der alten entwachsen war. Ob sich das mit »The Day the Clown Cried« (siehe »Ein Geisterfilm« vom 5.2.2016) geändert hätte?

Gleichviel, er war ein ungemein ambitionierter, selbstbewusster Filmemacher. Er folgte einer unverkennbar eigenen Vision. Seine Filme hatten eine unbändige Freude an den eigenen Attraktionen. Die Verwandlung in seiner »Jekyll & Hyde«-Variation »Der verrückte Professor« war in ihrem Wechsel zwischen Nähe und totaler Aufsicht so eindringlich inszeniert, als hätte Lewis sein Leben lang nichts anderes als Horrorfilme gedreht. Es ist unwahrscheinlich, dass er Pirandello gelesen hat. Verstanden hat er ihn jedenfalls prächtig. Souverän unterminierte er die Illusionsmaschinerie des Kinos durch die Beharrlichkeit, mit der er das Tabu ignorierte, sich ans Publikum zu wenden. Und wer sonst hätte es geschafft, den Surrealismus in Hollywood heimisch zu machen?

Seine Komik entzündete sich am Missverständnis der Welt, das sogleich in deren zwar tolpatschige, aber zielstrebige Besitznahme umschlug. Mimikry und lärmende Pantomime waren entscheidende Schritte in diesem Prozess;Ausrutscher zu Füßen Freuds nahm er in Kauf. Dass die Requisiten in seinen Händen unweigerlich ein anarchisches Eigenleben entwickelten, entmutigte ihn nie. Er war findig. Das Scheitern erlaubte er sich nicht, es galt, über die Aussichtslosigkeit zu triumphieren: In Windeseile füllte er in »Hallo, Page!« einen gigantischen Ballsaal mit Sesseln. Er trotzte der Gefahr, begab sich als unglücklich Verlassener in »Zu heiß gebadet« geradewegs ins Zentrum seines Traumas und bewährte sich letztlich patent als Hausmeister in einer Frauenpension.

Die Verletzlichkeit seiner Figuren war für Lewis nur Prämisse, ihr Schicksal erfüllte sich nicht darin. Die »neurotic identification empathy«, die ihm in »Der Tölpel vom Dienst« diagnostiziert wird, war kein Fehler, sondern ein Vorzug. Die Lücke, die die Trennung von Dean Martin in seinem Leben und Schaffen hinterließ, füllte Lewis nach einer Frist der Trauer beherzt auf. Regelmäßig spielten seine Komödien ins Musical hinüber (übrigens parodierte er mit Buddy Love eher die Überheblichkeit Sinatras als die Nonchalance seines Ex-Partners). Gestandene Mannsbilder durften bei ihm fortwährend demontiert werden. Rachsucht gehört zum Genre.

In großen Organismen wie Hotels, Warenhäusern oder Krankenhäuser war Lewis' Leinwandfigur seit »Hallo Page« bestens aufgehoben. In ihrem Hang zum Enzyklopädischen ist seine erste Regiearbeit - deren Drehbuch erst vor Ort in Miami entstand und deren Besetzung sich aus lauter Komikern rekrutierte, die dort gerade auftraten - ohnehin ein staunenswertes Debüt: Welche Erzählmöglichkeiten lassen sich jedem einzelnen Raum des prächtigen Hotels »Fontainebleau« entlocken? Es ist fast so, als hätte Jacques Tati »Playtime« nicht am Ende, sondern gleich zu Beginn seiner Regiekarriere gedreht. Im Vergleich zu Tati zeigt sich aber, wie eigentümlich kurzatmig Komik bei ihm konstruiert sind: Lewis setzte einen Gag, fügte diesem allenfalls noch eine zweite Pointe hinzu, zu einem klassischen Dreischritt baut er ihn jedoch nur selten aus. Typisch amerikanisch, könnte man meinen: Das Ziel muss schnell erreicht und dann auch gleich wieder zurückgelassen werden.

Tatsächlich ging der episodische Charakter der Filme mit einer merkwürdigen Folgenlosigkeit der Verheerungen einher, die Lewis angerichtet hatte. Seine Schuld blieb ungestraft, denn der Elan, die nächste Katastrophe heraufzubeschwören, durfte nicht erlöschen. Die Autoritäten und sogar Lewis' Opfer ließen eine Duldsamkeit walten, die der Gleichgültigkeit näherstand als der Toleranz. Selbst wenn Lewis amerikanischer Werte und Rituale aushebelte, blieb er doch ein Sohn seines Landes. Jenseits der Infantilität verkörperte er den Stolz, das Erfolgsversprechen erfüllen zu wollen. Dabei unterlief ihm manch patriotischer Lapsus. Der Kuss, den er sich in »Der Tölpel vom Dienst« von seiner Jugendliebe ersehnt, soll so grandios sein wie das Feuerwerk zum 4. Juli. Der fällt dann zwar eher entzaubernd aus, aber als er endlich die Richtige küsst, sprühen die erwarteten Funken. Das Hauptthema von »Hallo, Page!«, das Lewis selbst komponierte, ist der Nationalhymne entlehnt. Summen Sie sie nur mal mit: »O say can you see …« Eine Note ist falsch. So viel Anarchie musste sein.

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