Brennen sollst du, Kino!

Das neue Projekt von Matthew Weiner, dem Kopf hinter den »Mad Men«, klingt vielversprechend. Er hat ein erstaunliches Thema gewählt: »The Romanoffs« soll in acht eigenständigen Folgen von Zeitgenossen handeln, die überzeugt sind, vom gleichnamigen Adelsgeschlecht abzustammen, dass drei Jahrhunderte über Russland herrschte. Die Besetzung ist illuster; hinter der Kamera werden sich viele »Mad Men«-Veteranen wieder begegnen.

Ob die Ich-trage-einen-großen-Namen-Faszination ein Jahrhundert nach der Ermordung der letzten Zarenfamilie noch trägt, werden Abonnenten von Amazon Prime voraussichtlich Anfang nächsten Jahres überprüfen können. Die Chancen dafür stehen gut. Einerseits haben solche Dynastien den Vorteil, kinderreich und dementsprechend weit verzweigt zu sein. Das Potenzial erzählenswerter Schicksale könnte also erklecklich sein. Zugleich sind die Romanows aus amerikanischer Sicht irgendwie auch Teil der eigenen Folklore. Man denke nur an den smarten Mike Romanoff, der unter dem imperialen Namen ein florierendes Restaurant in Hollywood betrieb. Insgeheim schadete es seinem Ruhm wohl nicht mal, dass er am Ende doch kein Prinz war (sondern ein ehemaliger Hemdenbügler namens Hershel Gezugin), denn in diesem Mythos gehen Schein, Sein und Wahn eine untrennbare Verbindung ein. Von dieser unübersichtlichen Gemengelage profitierte das US-Kino enorm. Eine kleine Stegreifliste. Es hat Filme über das letzte tragische Zarenpaar hervorgebracht (»Nicolas und Alexandra«), über Rasputin (ein trefflicher Anlass, in den 30ern eine heimische Dynastie, die Barrymores, in einem Film zu versammeln) und nicht zuletzt über die vermeintliche Zarentochter Anastasia (die Rolle besiegelte nicht Mitte der 50er das Comeback der verbannten Ehebrecherin Ingrid Bergman). Auch der Disney-Konzern widmete diesem Mysterium übrigens später ein Biopic, das zeigt, wie leicht sich auch blutrünstige Mythen einhegen lassen, sofern man sie süßlich-bunt animiert. In der Umgangssprache hat der »Czar« ebenfalls eine erstaunliche Karriere gemacht: als Synonym resoluter, staatlicher Machtausübung (»drug czar«, »crime czar« etc.). Ich vermute, diese unbegriffene Faszination für alles Weißrussische ergriff das US-Publikum bereits, als es Erich von Stroheim in seiner schneidigen Uniform in »Foolish Wives« erblickte.

Allerdings mutet die amerikanische Zarenbegeisterung nurmehr platonisch an, wenn man sich dem Kult vor Augen führt, der im postsowjetischen Russland um die letzten Romanows getrieben wird. Eine solch machtvolle Wiederkehr des Verdrängten ist wohl einzigartig in unserer Zeitgeschichte. Das Auffinden ihrer Gebeine nahe Jekaterinburg musste 1979 vor der sowjetischen Öffentlichkeit noch geheimgehalten werden; geborgen wurden sie erst 1991. Neun Jahre später sprach die russisch-orthodoxe Kirche Nikolaus II heilig. Nachdem die Verehrung für den vermeintlichen Märtyrer Jahrzehnte lang nur glimmen durfte, konnte sie nun glühen. Momentan scheint sie sich gar zu einer Feuersbrunst auszuwachsen. Ihr Auslöser ist der bevorstehende Start des Films »Matilda«, in dem Alexej Utschitel von der historisch verbürgten Liebesbeziehung Nikolaus' mit der polnischen Tänzerin Matilda Kschessinskaja erzählt. Für die Vorpremiere in Wladiwostok am 11. September mussten 30 Sicherheitsbeamte und etliche Polizisten verpflichtet werden, nachdem zwei Fahrzeuge vor der Kanzlei von Utschitels Anwalt in Flammen aufgingen. »Brenne für Matilda!« warnten ihn die Attentäter. Am 31. August war ein Molotowcocktail in ein Atelier der Filmstudios in St. Petersburg geschleudert worden, in denen ein Teil der Dreharbeiten stattgefunden hatte. Am 4. September explodierte ein mit Benzin und Gas gefüllter Lastwagen vor einem Kino in Jekaterinburg, das den Film aufs Programm setzen wollte.

Ich hätte nicht gedacht, zu meinen Lebzeiten den Anblick brennender Kino noch einmal ertragen zu müssen; zuletzt erinnere ich solche Bilder aus dem Teheran der Revolution von 1979. Die Kirche hätte es wohl mit nächtlichen Gebetswachen bewenden lassen, wenn nicht eine sektiererische Organisation namens »Sorok Sorokow« den Zorn der Gläubigen aufgepeitscht hätte. Nun geißeln auch offizielle Seelsorger immer lautstarker den angeblich blasphemischen Film. Die Duma-Abgeordnete Natalja Poklonskaja scheiterte zwar mit ihrer Eingabe, den Film verbieten zu lassen. Nun jedoch hat sie eine 91jährige Kanadierin ausfindig gemacht, die behauptet, die Witwe eines Neffen des letzten Zaren zu sein und in ihrem Namen Klage eingereicht. Zuvor muss vor Gericht allerdings das Verwandtschaftsverhältnis zweifelsfrei bewiesen werden. Aus dem Bergman-Film weiß man, wie schwierig ein solcher Nachweis zu erbringen ist. Aber die Abgeordnete lässt nicht ab von ihrem Kreuzzug. Das Wüten gegen einen Film, den keiner der Empörer bislang gesehen hat, scheint zu fruchten. Zwei große Kinoketten kündigten bereits an, »Matilda« nicht vorzuführen.

In den Augen von Utschitels Anwalt trägt Poblonskaja eine Mitverantwortung an den Brandstiftungen. Im Übrigen hat er den russischen Geheimdienst FSB aufgefordert, die »Terroristen« dingfest zu machen. Sein Mandant ist ein renommierter Filmemacher, der auf einschlägigen Festivals wie Cottbus ausgezeichnet wurde. Als Unterstützer von Putins Krim-Politik verfügt er über gute Beziehungen zum Kreml. Kulturminister Wladimir Medinski, der den Film mit rund vier Millionen Euro subventioniert hat, verurteilt zwar die Ausschreitungen. Auch die Freigabe des Films will er nicht zurücknehmen. Jedoch räumt er regionalen Behörden die Möglichkeit ein, Vorführungen zu untersagen, falls diese mit dortigen Sitten und Gebräuchen nicht vereinbar ist. Auch dem Minister, der findet, dass Russland vor allem patriotische Filme braucht, ist »Matilda« also nicht ganz geheuer.

Derweil werden bei Fußballspielen in Moskau Transparente mit dem Aufruf »Für Glauben, Zar und Vaterland, nieder mit Utschitel!« geschwenkt. Solche Erregung lässt nicht als bloßes Nostalgiephänomen abtun. Sie scheint vielmehr einem mächtigen Identitätsverlangen zu entspringen. Dessen Ausmaß ist für einen westlichen Betrachter schwer greifbar. Die Beweihräucherung eines Zaren, der keiner sein wollte, mutet reichlich befremdlich an. Vielleicht gewinnt dieser »Vertreter Gottes auf Erden« ja neuerliche Attraktivität, weil er ein erbitterter Gegner der Demokratie war?

Womöglich ist der Titel von Utschitels Film ja schon eine Provokation, weil er den Fokus auf die Geliebte legt. Dabei müsste dies die Legende des Familienmenschen Nikolaus nicht einmal erschüttern. Die Liebesgeschichte mit der zierlichen Tänzerin fand vor seiner Heirat mit Alexandra statt und war beendet, als er mit 26 Jahren den Thron bestieg. Mithin ein Ehebruch vor der Ehe, begangen nicht von einem Zaren, sondern einem Zarewitsch. Aber ein Heiligenleben ist offenbar unteilbar. Man könnte die Empörung erheblich besser verstehen, wenn Utschitel gezeigt hätte, wie sich der Thronfolger bei einem liederlichen Bordellbesuch oder einer schnöden Affäre die Hörner abstößt. Wie der Trailer jedoch vermuten lässt, zelebriert er eine echte Liebe. Darüber hinaus stellt er keinen Film in Aussicht, der an der Glorie Nikolaus' kratzt. Die Ausschnitte schwelgen in imperialem Glanz und höfischem Prunk. Die überwältigenden Schauwerte zielen auf Affirmation. Den Umstand hingegen, dass ihr Idol von einem deutschen Schauspieler (Lars Eidinger) verkörpert wird, dürften heimische Zuschauer als Kränkung empfinden. Aber sind die glutvollen Blicke, die er der anmutigen Tänzerin zuwirft, nicht eine Hommage an die russische Seele?

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