Transatlantisches Schillern

Heute Abend beginnt im Berliner Zeughauskino eine große, auf drei Monate angelegte Robert-Siodmak- Retrospektive. Als Auftakt läuft The Killers mit Burt Lancaster und Ava Gardner, zu dem Wolfgang Jacobsen eine Einführung hält, die ohne Zweifel kenntnis- und beziehungsreich sein wird. Die große Werkschau der Berlinale (deren Katalog Jacobsen mit herausgab) liegt mittlerweile 16 Jahre zurück; sie war zugleich auch Roberts Bruder Curt gewidmet. Man darf also getrost behaupten,  dass es nicht zu früh für eine Neubesichtigung dieser Regiekarriere ist. Die Postkarte, die das Zeughaus dazu verschickt – sie zeigt Lilian Harvey in Quick und strahlt eine rätselhafte Aura sportlicher Erotik aus –, sowie der Umstand, dass ein tolles Motiv aus dem Dschungelmelo Cobra Woman das Programmheft ziert, lässt eine unorthodoxe Herangehensweise an ein heikles Kapitel deutscher Filmgeschichte vermuten.

Vor vier Jahren hatte ich die Gelegenheit, in der Cinémathèque française einen Vortrag zu hören, den der Amerikanist Serge Chauvin im Rahmen der dortigen Retro hielt. Besonders faszinierte mich, wie er einen Bogen schlug zwischen „Menschen am Sonntag“ von 1930 und dem 25 Jahre später entstandenen Die Ratten. Als Bindeglied diente ihm das gemeinsame Motiv einer S-Bahn-Trasse. Chauvin unterschlug zwar nicht den Abstand zwischen dem Kino der Weimarer Republik und dem der restaurativen 1950er Jahre, in dem Siodmak zu den zahlreichen Re-Emigranten gehörte, die sich im bundesrepublikanischen Film wieder einen Platz erobern wollten. Dennoch eignete seinem Blick eine Unbefangenheit, die sich hier zu Lande schwerer herstellen lässt. Sein Befund war zunächst ein stilanalytischer, den er jedoch auf die politischen Wechselfälle der Karriere auszuweiten verstand. Er sah das Werk Siodmaks geprägt von einer Ästhetik des Erstickens. Für ihn lag nicht Uneingelöstes in dieser Emigrantenkarriere, sie wies für ihn vielmehr eine bewundernswerte thematische und stilistische Kontinuität auf. Das Berliner Kinopublikum hat nun das ganze Frühjahr Zeit, dies zu überprüfen.

Siodmak selbst sah sich als Jemand, der davongekommen war: Deutschland hatte er einen Tag nach Hitlers Machtergreifung, Frankreich einen Tag vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Paris und Hollywood ein Jahr vor der Einführung des CinemaScope. Wobei er später das Pech hatte, Kampf um Rom in dem Format drehen zu müssen und Produzent Artur Brauner es zu allem Überfluss versäumte, die Szenenbildner davon zu unterrichten, dass ihre Dekors breitwandtauglich sein müssten. Ganz abgesehen von den unvermutet schlampigen, wenngleich vergnüglichen Karl-May-Verfilmungen, mit denen Siodmak am Ende sein Gnadenbrot fristen musste, fehlt es dieser Regielaufbahn nicht an mauen Gelegenheitsarbeiten. Aus der Berlinale-Retro habe ich allerdings den Eindruck mitgenommen, dass er sich auf dem heiklen Exilboden ein ganz eigenes Erzählterrain erobern konnte. Die Entwurzelung, der Wechsel zwischen den Kulturen war ihm allerdings schon in die Wiege gelegt: Er wurde in Memphis, Tennessee geboren, aber schon ein Jahr kehrte später kehrte seine Familie nach Leipzig zurück.

Der Film noir The Killers erscheint mir als prächtiger Ausgangspunkt, Siodmaks Handschrift nachzuspüren. Die 40er Jahre gelten als seine schöpferischste Periode. Man zählt ihn zu den Virtuosen des Helldunkels, von denen der Film Noir ja nicht wenige hervorbrachte. Dass er ein Meister der atmosphärischen Inszenierung ist, der dramatischen und sinnlichen Verdichtung von Situationen, hat er schon 1930 mit Abschied (am 3. April im Zeughaus zu sehen) bewiesen, wo die drangvolle Enge und Kakophonie einer kleinen Berliner Pension  das stimmungsvolle Unterfutter der Geschichte bildet. Dekors sind in seinen Filmen nicht einfach Kulissen, sondern prekäre Lebenssphären. Schauplätze etabliert er mit dem präzis schweifenden Blick für das Typische, Wiedererkennbare. Die Serie von Films noir, in der The Killers eine zentrale Rolle spielt, hat mich immer beeindruckt durch die fiebrige Urbanität, die bedrohliche Wahrnehmungsfülle amerikanischer Großstädte, die Siodmak auch in Studiodekors stimmig einfangen konnte. Mal schauen, ob sich mein Eindruck heute Abend bestätigt. À suivre.  

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