Tags im Museum 2

Die Filmgeschichte ist nicht unbedingt arm an Spielernaturen. Von den Gründern der Hollywoodstudios, darunter Carl Laemmle, weiß man, dass sie ihre Feierabende gern beim Kartenspiel verbrachten. Das war nicht nur als Entspannung gedacht; oft ging es dabei um hohe Einsätze. Howard Hawks, John Huston und Robert Altman waren leidenschaftliche Zocker. Vielleicht suchten sie dabei ein Gefühl der Macht, wollten Zufall und Schicksal Regieanweisungen geben. Ich vermute, dass sie insgeheim verlieren wollten. Allerdings bin ich voreingenommen, da die Freundschaft zu einem Kollegen an dessen Spielsucht zerbrach.

Der spanische Regisseur Gonzalo García Pelayo ist zweifellos ein Hasardeur, aber er spielt, um zu gewinnen. In den 1990ern entwickelte er ein System beim Roulette, das ihn und seine Söhne zu Millionären machte und ihnen beträchtlichen Ärger mit den Casinos (wenn nicht gar der Justiz) einbrachte. Es beruht auf statistischen Erhebungen, die Pelayo über Fabrikationsfehler der Roulettetische anstellte. In Frankreich hat man einen schönen Ausdruck für so etwas: corriger la fortune, dem Glück nachhelfen. Seither hat sein Clan Hausverbot in allen Casinos der Welt, ist zugleich aber so berühmt geworden, dass Los Pelayos vor einigen Jahren zum Gegenstand eines spanischen Films wurden. Darüber hinaus tat sich der Patriarch als Radiomoderator, Nachtclubbesitzer, Impresario von Flamenco-Veranstaltungen und Stierkämpfen hervor.

Als Regisseur ist er weniger berühmt, was sich aber gerade ändert. Angestoßen hat seine Wiederentdeckung ein spanischer Kritiker, der Pelayos zweiten Film „Vivir en Sevilla“ (1978) auf seine Liste der zehn besten Filme setzte, welche die Zeitschrift Sight and Sound alle zehn Jahre von Filmemachern und Filmjournalisten erbittet. Sogleich widmete die letztjährige Viennale Pelayo ein Tribute. In diesem Frühjahr zeigte auch das Pariser Museum Jeu de Paume seine Filme. Die kleine Retrospektive war während meines Besuchs eigentlich schon vorüber, aber ich hatte das Glück, dass seine ersten zwei Filme wegen des großen Publikumsinteresses wiederholt wurden. Pelayo hatte Teil an der movida, der Aufbruchsbewegung nach dem Tod Francos. Allerdings ist sein Kino nicht in Madrid, sondern Andalusien verwurzelt. Die französische Presse lancierte den neu entdeckten Regisseur als Bindeglied zwischen Bunuel und Almodóvar, was nach meinem ersten Eindruck nicht ganz falsch ist. ´“Vivir en Sevilla“ ist in der Tat ein erstaunlicher Film. Es ist eine Art filmisches Tagebuch eines Mannes zwischen zwei Frauen, schrammt mitunter hart an der Pornografie vorbei und steckt voller brechtscher Verfremdungseffekte: Die Gedanken der Hauptfigur werden zwischen oder über einzelne Einstellungen geblendet, eine Liebeserklärung liest sie aus dem Drehbuch vor, von einer Sexszene muss ein zweiter Take gedreht werden, aus dem Off und mitunter im On erklingen heftige Monologe. Die Kamera geht auf ausschweifende Suchfahrten durch die Stadt.

Allerdings fand ich Pelayos Regiedebüt „Manuela“ (1975) die interessantere Aufbruchsgeste. Smartere Kritiker würden es ohne Zweifel als das konventionellere Werk bezeichnen. Es ist ein vergleichsweise besonnenes, wenn auch widerspenstiges Melodram, wird getragen von der Schönheit, dem glühenden Antikleralismus und Stolz der Titelheldin. Gleich nach wenigen Minuten wartet der Film bereits mit einem Kabinettstück auf: Manuela hält die Beerdigung des Großgrundbesitzers, der ihren wildernden Vater erschoss, auf, in dem sie in einem leuchtend roten Kleid einen trotzigen Flamenco auf dessen Familiengrab tanzt. Sie wird zwar von sämtlichen männlichen Hauptfiguren begehrt, verdreht ihnen aber nicht den Kopf, sondern ruft Verehrung hervor. Selbst Fernando Rey, dem man nach seinen Auftritten bei Bunuel jede Art von Verworfenheit zutraut, ist ihr in stiller, demütiger Liebe zugetan. Sie verkörpert die nährende Lebenskraft Andalusiens. Pelayo ist ein phantasievoller Anthropologe, der in seinen Filmen einer anarchischen Lebens- und Sinnenfreude Ausdruck verleiht: Die Vokabel allegria taucht häufig in seinen Filmtiteln und Dialogen auf. Auch „Manuela“ ist schon ein sacht selbstreflexives Kinostück (die Titelheldin liest den Roman, auf dem der Film beruht), das sich beherzt aus den Genrekonventionen befreit.

Nach dem Misserfolg seiner ersten fünf Filme zog sich Pelayo 1982 aus dem Filmgeschäft zurück – er fand, wie Sie eingangs sehen konnten, mannigfache Betätigungsfelder -, um 2013 seinen sechsten Film zu drehen. Nun hatte er das Gefühl, dass nicht nur er das Kino liebt, sondern dass es seine Liebe auch erwidert. Sein Werk stellt vielleicht keinen filmischen Kontinent, aber gewiss eine Halbinsel dar, die zu erkunden sich lohnt. Womöglich zieht seine Wiederentdeckung ja auch einmal ihre Kreise nach Deutschland und es findet sich ein Kino, das bereit ist, Pelayos Kinoglück nachzuhelfen.

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