Eine schöne Leiche

James Schamus  © Peter Bowen

Die Zukunft ist das unkalkulierbare Kapital, die Wette, die das Kino ständig eingehen muss. Es ist ja nicht einmal gewiss, ob man es in ein paar Jahren überhaupt noch Kino nennen darf, weil die bewegten Bilder womöglich an ganz anderen Orten laufen. Darüber macht sich natürlich auch die Deutsche Filmakademie Gedanken. Gestern hat sie eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel "In weiter Ferne – so nah" eröffnet, deren Logo das Foto eines US-Kinos zeigt, an dessen Brandmauer ein großes For-Sale-Schild prangt. Das wirkt erst einmal wie ein reichlich defätistisches Vorzeichen. Aber vielleicht wird diese Immobilie am Ende ja doch nicht von einer Großmarktkette, sondern einem anderen Kinobesitzer gekauft.

Auch der Veranstaltungsort hatte Symbolcharakter. Das "Orangelab" am Berliner Ernst-Reuter-Platz führt das Labor schon im Namen und beherbergte ehedem die Elektronengehirne der Deutschlandzentrale von IBM. Da seit gut 100 Jahren – der Erste Weltkrieg brachte auch in dieser Hinsicht eine Zeitenwende – Amerika zeigt, wohin der Weg geht, wurde für den ersten Vortrag James Schamus eingeladen, der Produzent und Co-Autor von Ang Lees Filmen sowie Vorstandsvorsitzende der Produktions- und Verleihfirma "Focus Features", die selbst nicht mehr unabhängig ist, aber viele Independentfilme herausbringt. Als er in diesem Jahr die Präsidentschaft der Berlinale-Jury übernahm, hielt er für Presse und Publikum mindestens zwei Überraschungen parat: nicht nur mit den Preisentscheidungen, über die er wachte, sondern auch mit der Entdeckung, dass Filmproduzenten Intellektuelle sein können. Er lehrt in New York Filmgeschichte und -theorie. Mithin ist er eine glänzende Wahl für den Auftakt der Reihe (die am 16. Dezember mit einer Veranstaltung über Markstrategien in Europa und einer Rede von Lars von Triers Produzentin fortgesetzt wird); sein CV belegt, wie gut er sich in der Doppeldeutigkeit des Kinos als Kunst und Geschäft auskennt.

"25 Fragments on the Future of Cinema" überschrieb er seine Überlegungen und beruhigte das Publikum sogleich mit dem Geständnis, es seien doch nur 23 geworden. Seine Selbstironie zog sich als hübsches Leitmotiv durch den Abend, war aber nicht immer entwaffnend. Höflicherweise fing er mit einem Adorno-Zitat an und ließ später weitere europäische Großdenker (Kracauer, Alain Badiou usf.) zu Wort kommen. Was Prognosen angeht, erwies er sich als ein eher unsicherer Kantonist. Zweifellos ist sein Denken zu redlich und gewissenhaft, um sich in Spekulationen zu verlieren. Vielmehr zeigte er sich als brillanter Analytiker der gegenwärtigen Umbrüche, in denen der Kinostart eines Film zu einem zusehends marginalen Glied der Verwertungskette wird (der Verkauf von Popcorn und Softdrinks ist das größere Geschäft für Theaterbesitzer) und das bewegte Bild auf einer Vielzahl von Plattformen zirkuliert, von denen zu Zeiten von Das Hochzeitsbankett oder Brokeback Mountain sich wohl noch kaum jemand eine Vorstellung machte. Seinen Vortrag muss ich nicht referieren, da er im Januar in der US-Zeitschrift "Filmmaker" erscheinen und auch online greifbar sein wird. Vielmehr habe ich Lust, ein kurzes atmosphärisches Bild des Abends zu zeichnen.

Schamus war gleichermaßen überzeugend als Philosoph wie Spaßmacher. Er führte vor, wie vergnüglich der Stepptanz auf einem Grab sein kann. Louis Lumière, der schon 1896 davon überzeugt war, dass seine Erfindung keine Zukunft hat, fungierte hier als Stichwortgeber. Das Ende des Kinos stand also schon bei seiner Geburt bevor. Fortan war die Zukunft immer das Jetzt - und danach konnte nur noch die Apokalypse kommen. Dass jemand tot ist, bedeute jedoch nicht, dass er aufhört zu existieren und keine Zukunft mehr hat. Es hatte Witz, wenn Schamus mit den vielen Untoten argumentierte, die das Kino seit Jahr und Tag bevölkern. Das neue Medium selbst sei schließlich eine Kunstform gewesen, die ihren Vorgängern, zumal dem Theater, das Blut aussaugte, in dem es seine Erzählmodelle und Darsteller abwarb. Während man sich so mit Schamus unter Vampiren und Zombies tummelte, vergaß man seine Zukunftsängste. Von Temperament und Erscheinung her würde prächtig in einen Woody-Allen-Film passen, wo das Ende von Menschheit und Universum ja auch gern beschworen wird und der Zuschauer sich in der Gewissheit wiegen kann, das alles nicht so schlimm ist, solange man drüber reden kann. Hatte Schamus sein Thema verfehlt? Wenn ja, dann mit Verve.

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