Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  „Das ist kein privater Film“

Ramon Zürcher (Regisseur) und Silvan Zürcher (Produzent) über ihren Film „Das merkwürdige Kätzchen“

Das Gespräch führte Frank Arnold


© Verleih

Mit 72 Minuten ist Euer Film ein Langfilm, aber es ist noch nicht einmal Euer Abschlussfilm an der DFFB. Wie ist er entstanden?

Ramon: Das Projekt wurde im Rahmen eines Seminars an der dffb angeschoben, das von Béla Tarr geleitet wurde. Man sollte einen Text von Franz Kafka auswählen und als Inspirationsquelle für einen Film benutzen. Ich habe mich für die Novelle „Die Verwandlung“ entschieden. Dabei ging es jedoch nie um eine werkgetreue Umsetzung der literarischen Vorlage, sondern vielmehr um eine freie Adaption, darum, eine eigene Welt und filmische Vision zu entwickeln, die sich nicht der Vorlage verpflichten musste. Die Kammerspiel-Situation etwa und der Fokus auf einen Familienkörper bei „Die Verwandlung“ haben mich sehr angesprochen. Die Küche ist der Hauptschauplatz – ein sozialer Raum, dem andere Zimmer entgegengesetzt sind, die eher als asoziale Räume funktionieren und in die sich die Figuren zurück ziehen und dem Sozialen entziehen können. Diesen Aspekt fand ich filmisch auch sehr interessant.

Ich habe mich bereits in meinen vorherigen Kurzfilmen stark für Echtzeit-Dramaturgien mit nur wenigen Zeitsprüngen und einen reduzierten räumlichen Radius interessiert. Ich fand es von Anfang an für dieses Projekt sehr inspirierend, innerhalb dieser Beschränkungen ein Familienporträt zu entfalten.

Bei den Treffen mit Béla Tarr ging es gar nicht vorrangig darum, was ich mir inhaltlich auf der Ebene des Drehbuchs überlegt hatte, sondern vielmehr um sehr konkrete filmische Visionen – etwa betreffend der Raumaufteilung der Wohnung oder der Physiognomien von Darstellern. Thematische Aspekte oder auch Belange, die die Organisation eines Plots betreffen, waren bei diesen Besprechungen nie zentral.

Gab es Vorgaben von Seiten Béla Tarrs?

Ramon: Nein. Weder Werktreue noch andere inhaltliche oder formale Aspekte wurden vorgegeben. Einzig die Rahmenbedingungen: Nämlich anhand eines sehr schlanken Budgets und mit den technischen Beistellungen der DFFB einen Film zu machen, der einen Kafka-Text zum unverbindlichen Ausgangspunkt nimmt.

Haben Sie Sich selber Vorgaben gemacht – etwa, dass die Kamera sich nicht bewegt, oder aber ergab sich das erst aus Ihrem Regiekonzept?

Ramon: Bei diesem Projekt habe ich mich nicht dafür interessiert, bereits zu Beginn ein Thema oder eine Geschichte als Ausgangslage zu benutzen. Ich habe vielmehr Vorgaben formaler Natur gesetzt – in der Tat etwa das Arbeiten mit einer statischen Kamera, die in ein Spannungsverhältnis gebracht wird mit einer dynamischen, stellenweise auch chaotischen Inszenierung. Ich wusste, dass ich die Schnittfrequenz reduziert halten und den filmischen Rhythmus wesentlich über die Mise-en-Scène gestalten wollte. Ich sehe das Geschehen in „Das merkwürdige Kätzchen“ als einen permanenten Kampf zwischen dem Bewegten und dem Statischen. Für das erste steht bei den Figuren die kleine Tochter Clara, die vital und lebendig ist, während die Figur der Mutter eher zum Stillstand tendiert.

Angesichts langer Mono- und Dialoge, aber auch im Hinblick auf den begrenzten Schauplatz: Welcher Spielraum bleibt den Darstellern? Haben Sie vorher mit ihnen geprobt?

Ramon: Die Dialoge, aber auch die Choreographien und Gänge waren im Vorfeld der Dreharbeiten bereits festgelegt. Der Kameramann Alexander Haßkerl und ich haben mit Hilfe einer Software die Filmwohnung digital nachgebaut. Auch die Wahl der Kameraoptiken konnte in diesem Programm simuliert werden, so dass das später in den filmischen Einstellungen Sichtbare im Vorfeld bereits virtuell simuliert und ein genaues Storyboard entwickelt werden konnte. Wir hatten also bereits einen Fahrplan für die Choreographien, als wir in den Dreh gestartet sind. Während des Drehs galt es dann vorrangig, einen stimmigen Rhythmus für die einzelnen Einstellungen aufzufinden.

Vor den Dreharbeiten haben wir nicht geprobt – die einzelnen Szenen haben wir erst an den jeweiligen Tagen ausprobiert, als sie auch gedreht wurden. Da die Dialoge und Monologe im Drehbuch und die Choreographien und Gänge im Storyboard notiert waren, wie in einer Partitur für eine Musikkomposition, gab es in der Tat nicht sehr viel Spielraum für die Darsteller. Aber die Kinder haben das Drehbuch nicht erhalten. Ich habe ihnen vor der jeweiligen Szene gesagt, was sie in Etwa sagen und tun sollen, und sie haben dann konkrete Angebote gemacht, die modelliert werden konnten.

Haben Mitglieder Ihrer Familie oder Verwandte beim Sehen des Films gelegentlich ein Déja-Vu-Erlebnis gehabt und gesagt: „Diesen Dialog hat es bei uns so gegeben“?

Ramon: Nein. „Das merkwürdige Kätzchen“ ist zwar ein sehr persönlicher Film, der vieles über mein Menschenbild und meine Weltsicht ausdrückt, aber er ist kein privater Film. Unsere eigene Familie ist ganz anders strukturiert als die Filmfamilie und auch die Temperamente sind anders verteilt. Aber im Film sind viele Beobachtungen, Erlebnisse und Erfahrungen, die ich in meinem Alltag gemacht habe – aber nicht zwingend aus meinem Familienkontext.

Im Nachspann des Films sieht man eine ganze Reihe von Firmenlogos. Ich vermute, dabei handelt es sich eher um Bereitstellungen von Sachen?

Silvan: Das meiste waren Spenden, etwa die Kaffeemaschine, die in der Küche zum Einsatz kommt, der Spielzeug-Helikopter, der im Film mitspielt oder die Wandmalfarbe, mit der wir die Wände bemalt haben. Aber es gab auch Beistellungen wie z.B. das Blutdruckmessgerät oder zusätzliche Lichttechnik, die das dffb-Equipment ergänzt hat. Wir hatten ein sehr kleines Budget von 12'000 Euro – 9'800 Euro von der Schule und der Rest waren Eigenmittel. Da dieses Budget durch die Miete der Wohnung, in der wir gedreht haben, für Benzin, Strom, Catering u.a. schnell konsumiert war, waren wir auch auf Spenden angewiesen, um unsere Vision zu realisieren. Das gesamte Team, inklusive Schauspielerinnen und Schauspieler, hat ohne Gage gearbeitet.

Können Sie die Festivals noch zählen, bei denen der Film seit seiner Berlinale-Premiere gelaufen ist?

Silvan: Es sind über fünfzig Festivals. Das gesamte letzte Jahr stand für uns maßgeblich in einem Kätzchen-Fokus. In der Schweiz ist der Film kürzlich, Ende November, in den Kinos gestartet. Jetzt ist er auch in Deutschland angelaufen und demnächst wird er in Frankreich in den Kinos zu sehen sein. Mit weiteren Ländern stehen wir in Verhandlung.

Sie stehen in einer langen Linie von Schweizern, die an der DFFB studieren, angefangen mit Daniel Schmid, Susanne Beyerle und Philip Sauber in den ersten Jahrgängen. Was hat Sie bewogen, hierher zu kommen?

Ramon: Ich hatte in Bern Freie Kunst studiert und wollte ein Zweitstudium der Filmregie in Deutschland machen. Ich habe mich an diversen Filmschulen beworben; letztlich hat es in Berlin an der DFFB (Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin) geklappt. Gleich zu Beginn des Studiums gab es eine Werkschau anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Akademie. In diesem Rahmen habe ich einige Filme der Berliner Schule entdeckt, denen ich in der Schweiz bisher nicht begegnet war, da sie dort bislang nicht zu sehen waren. Die Begegnung mit diesem Autorenfilmschaffen war für mich sehr maßgeblich.

Silvan: Ich hatte ebenfalls zuvor in der Schweiz studiert – Philosophie, Filmwissenschaft und Germanistik. Nach dem Abschluss hatte ich Interesse, die theoretische Beschäftigung mit dem Medium Film durch das Kennenlernen der Praxis der Filmherstellung zu ergänzen. Drei Jahre nach Ramon habe ich mich also auch an der DFFB beworben.