Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  Alle wollten genau das, was sie hatte: Zum Tod von Nora Ephron

Nora Ephron, die Drehbuchautorin von „Harry und Sally“ und Regisseurin weiterer Erfolgskomödien wie „Schlaflos in Seattle“ und „Email für dich“, starb im Alter von 71 Jahren am 26. Juni in Manhattan, New York

Von Barbara Schweizerhof


© Verleih

„In allererster Linie: sei die Heldin deines Lebens, nicht das Opfer“, so lautet eine der Maximen aus dem Mund der nie um eine pointierte Formulierung verlegenen Autorin und Regisseurin Nora Ephron. In den ersten Beileidsbekundungen und Nachrufen, die auf die Bekanntgabe ihres Todes in der Nacht vom 26. auf den 27. Juni folgten, wurde der Satz wieder und wieder zitiert – einerseits sicher, weil er einen wirklich guten Ratschlag beinhaltet, andererseits wohl vor allem deshalb, weil viele ihn durch Ephron so erfolgreich vorgelebt sahen.

Zur Heldin nicht nur des eigenen Lebens, sondern gewissermaßen der Filmgeschichte wurde Nora Ephron spätestens mit ihrem Drehbuch zu „Harry und Sally“. Die 1989 unter der Regie von Rob Reiner realisierte Liebeskomödie erwies sich als Riesenhit mit weltweiter Reichweite und einer noch heute zu spürenden Wirkung auf die Alltagskultur. Wie kompliziert es ist, in den USA ein Sandwich zu bestellen, erfuhren viele erst aus diesem Film. Und gibt es etwa jemand, der nicht weiß, was dem Satz „Ich möchte genau das, was sie hatte“ vorausgeht? Die Szene, in der Meg Ryan als Sally im berühmten Katz’s Delicatessen in Manhattan in voller Bekleidung einen Orgasmus vortäuscht, ist selbst unter Menschen bekannt, die den Film nie gesehen haben.

Ephrons Erfolgssträhne sollte sich mit „Schlaflos in Seattle“ (1993) und „Email für dich“ (1998) für einige Jahre fortsetzen. Bei beiden Filmen führte sie außerdem selbst Regie. Im Anschluss allerdings musste sie unter anderem mit der Lottokomödie „Lucky Numbers“ (2000) und der Leinwandadaption eines Serienklassikers „Verliebt in eine Hexe“ einige mehr oder weniger große Enttäuschungen hinnehmen – obwohl ersterer mit John Travolta und Lisa Kudrow und letzterer mit Nicole Kidman, Will Ferrell, Shirley Maclaine und Michael Caine prominent besetzt waren.

Ihr nun leider letzter Film, der 2009 gestartete „Julie & Julia“ jedoch fand erneut ein verglichen mit Ephrons 90er-Jahre-Hitkomödien zwar kleineres, aber nicht minder begeistertes Publikum. Meryl Streep, die 1986 in „Sodbrennen“ Ephrons Alter ego gespielt hatte, erhielt für ihre großartige Verkörperung der legendären TV-Köchin Julia Childs eine Oscar-Nominierung. Der Oscar aber ging in einer bereits heute unverständlich erscheinenden Entscheidung an Sandra Bullock für ihre Rolle in „Blind Side“.

Ephron selbst mag dazu nur mit den Schultern gezuckt haben – bei all ihren drei Drehbuch-Oscar-Nominierungen sieht das Verhältnis von ihren „unterlegenen“ Filmen zu denen, die „gewonnen“ haben, ähnlich aus: letztere wirken gegen die immense Popularität von Ephrons Werken fast obskur. Mit „Silkwood“ (1983), ihrem ersten Drehbuch für einen Kinofilm, unterlag sie zum Beispiel dem heute gänzlich vergessenen „Comeback der Liebe“; „Harry und Sally“ verlor gegen „Der Club der toten Dichter“ und „Schlaflos in Seattle“ zog gegen „Das Piano“ den Kürzeren.

Die 1941 als Tochter zweier erfolgreicher Stücke- und Drehbuchschreiber geborene Ephron begann ihre eigene Autorenkarriere als Reporterin der New York Post in den 60er Jahren. Mit ihrem selbstironischen, respektlosen und scharfsinnigen Schreibstil machte sie bald von sich reden. Später arbeitete sie für Zeitschriften wie Esquire, Cosmopolitan und das New York Times Magazine und veröffentlichte ihre espritvollen Kolumnen bald in Buchform. In den 70er Jahren durchlebte sie einige stürmische Ehejahre mit ihrem zweiten Mann, dem Watergate-Enthüller Carl Bernstein, die sie im Roman „Heartburn“ („Sodbrennen“) mit der damals schon zu ihrer Marke gewordenen selbstmitleidlosen Ironie verarbeitete. Angeblich wegen ihres journalistischen Hintergrunds wurde Ephron Anfang der 80er Jahre als Drehbuchautorin für „Silkwood“ geworben, in dem es um die wahre Geschichte einer in einem Atomkraftwerk arbeitenden jungen Frau geht, die unter mysteriösen Umständen ums Leben kam, als sie sich mit einem Reporter treffen und über die Lage im Kraftwerk sprechen wollte. Regie führte Mike Nichols, die Hauptrolle spielte Meryl Streep und mit fünf Oscar-Nominierungen zählte der Film zu den zentralen Ereignissen des Filmjahrs 1983.

Effektvoller kann ein Einstieg ins Filmgeschäft kaum verlaufen. Ephron schrieb weiter Drehbücher und übernahm 1992 bei „Showtime – Hilfe, meine Mama ist ein Star“ auch zum ersten Mal die Regie. Gleich der zweite Film, bei dem sie als Autorin und Regisseurin verantwortlich zeichnete, wurde ein großer Erfolg: „Schlaflos in Seattle“ (1993). Wo immer es um das Thema „Frauen im Filmgeschäft“ ging, wurde daraufhin ihr Name genannt. Ihr zuletzt erschienener Essayband „Ich kann mir alles merken: Nur nicht mehr so lange“ schloss mit einer Liste von Dingen, die sie nicht vermissen würde – „Symposien zu Frauen im Film“ war eines davon.

Dabei ist es genau dieser Mut zur Ambivalenz, der Nora Ephrons Vorbildrolle als Regisseurin und Autorin im Filmbusiness ausmachte. „Ich versuche Rollen für Frauen zu schreiben, die so kompliziert und interessant sind wie es Frauen auch wirklich sind“, sagte sie an einer Stelle. Ihr erbarmungsloser Humor, der geradewegs auf den wunden Punkt der eigenen Schwächen und Eitelkeiten zielte, bewahrte sie dabei stets davor zu sentimental oder kitschig zu werden.
Illusionen darüber, wie Komik zustande kommt, machte sie sich nie; sie beherrschte ihr Handwerk absolut: „Wenn du auf einer Bananenschale ausrutschst, lachen die Leute über dich. Wenn du erzählst, wie du auf einer Bananenschale ausgerutscht bist, gehört das Lachen dir. Du bist vom Opfer zum Helden geworden.“