Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  „Ich wollte etwas machen, das den Zuschauer herausfordert“

In „Young Adult“ spielt Charlize Theron eine Autorin serieller Jugendromane, die in einer Lebenskrise steckt. Komödienspezialist Jason Reitman („Up in the Air“) über seinen Star, offene Enden – und die Frage, was ihn mit der Filmheldin verbindet

Das Gespräch führte Frank Arnold


© Verleih

Mr. Reitman, was war Ihre erste Reaktion, als Sie das Drehbuch zu „Young Adult“ lasen?

 

Ich liebte den dritten Akt! Ich liebte, dass die Hauptfigur Mavis einen Zusammenbruch hatte und danach eben nicht ein besserer Mensch war! Sie machte nicht das, was solche Figuren gemeinhin im Kino tun, sondern sie machte das, was die Menschen im wirklichen Leben tun: Sie nutzte die Gelegenheit, kurz innezuhalten - und dann fiel sie wieder in die alten Gewohnheiten zurück.

 

Das heißt, hätte der Film ein traditionelles Ende gehabt, bei dem die Protagonistin sich ändert, hätten Sie gesagt: „Das möchte ich verändern!“?

 

Dann hätte ich den Film gar nicht erst gemacht. Genau dieser Schluss war für mich der Grund, den Film zu machen. Das heißt jetzt nicht, dass ich keinen Film mit einem Happy End drehen könnte, aber hier erschien mir das nur konsequent: es war das, was diese Frau auch in der Wirklichkeit machen würde.     

 

Am Ende von „Up in the Air“ weiß der Zuschauer nicht, was aus dem von George Clooney verkörperte Protagonisten wird. Als ich „Young Adult“ zum zweiten Mal sah, habe ich versucht, irgendwelche kleinen Hinweise zu finden, die sagen, was aus ihr wird. Die habe ich nicht entdeckt.

 

Nein, denn sie wird sich ja eben nicht ändern.

 

In den Filmen, die in den USA Anfang der dreißiger Jahre gedreht wurden, also vor der Einführung der Zensur durch den Hayes-Code, etwa „Baby Face“, in dem sich Barbara Stanwyck als Sekretärin in einem Unternehmen hochschläft, gab es am Ende doch immer Reue oder Bestrafung. Ihre eigenen Protagonisten machen es dem Zuschauer immer schwierig, sich mit ihnen zu identifizieren, angefangen mit dem Lobbyisten, den Aaron Eckhardt in Ihrem Spielfilmdebüt „Thank You for Smoking“ verkörperte. Kann man sofern die Hauptfigur von „Young Adult“ in dieser Tradition sehen?

 

Dies ist der menschlichste meiner Filme und er geht am direktesten an die Sache heran. Dies ist derjenige meiner Filme, der am wenigsten daran interessiert ist, das Publikum zu unterhalten und am meisten daran, es herauszufordern. Darauf bin ich stolz.

 

Wurde das erleichtert dadurch, dass dies eine unabhängige Produktion ist?

 

Nein; Paramount, die den Film verleihen (wie schon zuvor „Up in the Air“), war von vornherein überzeugt von dem Konzept – wobei es sicherlich auch half, dass ich zusagte, den Film für ziemlich wenig Geld zu machen.

 

Würden Sie sagen, dass die Kinogänger heutzutage sophisticated sind, dass es ihnen leichter fällt, so einen Schluss zu akzeptieren? Oder würden Sie sagen, im Hinblick auf die nicht so guten Einspielergebisse in den USA: es ist ein Risiko?

 

Ein Wagnis ist es bestimmt, und es wird immer schwieriger, so einen Film für dieses Budget herzustellen. Man kann einen Mikrobudget-Film für 50.0000 oder 100.000 Dollar machen, der sagen kann, was immer er will – oder man kann einen 100 Millionen-Dollar-Film machen, der nichts sagt. Aber einen mittleren Film wie diesen (der 12 Millionen Dollar kostete) zu machen, wird immer schwieriger. Er ist nicht unbedingt das, was die Zuschauer im Kino sehen wollen – aber das ist nicht immer der Grund, um einen Film zu machen.

 

Aber für diese Geschichte war es die richtige Art? Oder habe Sie sich im Nachhinein überlegt: Hätte ich die bittere Pille ein wenig versüßt…?

 

Ich habe diesen Film nicht für die Zuschauer gemacht. Das habe ich bereits gemacht - Filme, in denen sich das Publikum wohl fühlt. Hier ging es darum, Kunst zu schaffen, etwas, was die Zuschauer herausfordert. Der Punkt ist der: wenn man sich am Ende des Films unwohl fühlt, ist man eher herausgefordert, sich Gedanken über sein eigenes Leben zu machen, über seine eigenen Entscheidungen nachzudenken, zu überlegen, was man mit dieser Figur auf der Leinwand gemeinsam hat, wie falsch man selbst ist. Und wie sehr bereit, sich zu ändern, wenn man die Möglichkeit dazu hätte. Ich wollte mit „Young Adult“ einen Film machen, wie ihn niemand anderer macht – der Erfolg meiner letzten Filme hat mir das ermöglicht.

 

Sie mussten also keine Kompromisse eingehen?

 

Nein.

 

War Charlize Theron die erste Wahl für die Hauptrolle?

 

Die einzige.

 

Es wäre interessant gewesen zu sehen, ob Schauspielerinnen diese Rolle abgelehnt hätten…

 

Nein, die meisten Schauspielerinnen würden gerne so etwas spielen. Das Problem wäre allerdings, dass die meisten von ihnen diese Figur in eine Karikatur verwandeln würden und sie nicht so real verkörpert hätten wie Charlize das tut. Das ist genau das, was ich an ihr schätze. Sie ist wirklich tapfer. Es gibt keine albernen Momente. Andere hätte augenzwinkernd demonstriert, dass sie nur Spaß machen. Das hätte den Film für mich ruiniert.

 

Das bedeutet auch, sie brauchte nichts, um eine Distanz zwischen sich und der Figur zu schaffen? In „Monster“ (wo sie die Serial Killerin Aileen Wuornos verkörperte) hatte sie ja ein aufgedunsenes Gesicht und einen Körper, der so eine Distanz schuf.

 

Nein, hier brauchte sie nichts, und das macht ihre schauspielerische Leistung noch furchtloser.

 

Hat sie je die Befürchtung geäußert, dass die Zuschauer denken könnten, sie sei selbst so?

 

Nein, das war nicht der Fall. Es war eher eine Frage der Balance; es wäre leicht gewesen, einen falschen Schritt zu machen. Da vertraute sie mir als Regisseur, dass ich sie nicht schlecht aussehen lassen würde. Was die Zuschauer denken, ist ihr egal. Es ist vielmehr die Frage, wie spiele ich das hundertprozentig real und rutsche nicht aus, mache keine Witze und versuche nicht, es abzumildern?

 

Konnten Sie all das während des Drehs sicherstellen oder gab es auch Szenen, die in dieser Hinsicht große Arbeit im Schneideraum erforderten?

 

Jeder Film ist eine Mischung aus Schreiben, Drehen und Schneiden, es gibt keinen, der schon in einer dieser drei Phasen perfekt ist. Das Geschichtenerzählen muss fortwährend verfeinert werden.

 

Eine der eindrucksvollsten Szenen ist ihr Monolog im Vorgarten anlässlich der Feier für das Baby, wo sie die Gastgeber und Gäste lautstark beschimpft. Wie viele Takes haben Sie dafür gebraucht?

 

Nur zwei! Ist Charlize nicht erstaunlich? Das war einer der vielen Gründe, weshalb ich mit ihr arbeiten wollte.

 

Hat Sie eine bestimmte Art und Weise, sich auf eine solche Szene vorzubereiten?

 

Nein, manche Schauspieler brauchen das: entweder ein bestimmtes Frühstück oder einen bestimmten Song anzuhören oder eine Stunde Konzentration, um sich auf eine schwierige Szene vorzubereiten. Das ist bei ihr nicht der Fall. Sobald sie die Essenz einer Szene erfasst hat, kann sie sie spielen.

 

Wie war die erneute Zusammenarbeit mit der Autorin Diablo Cody nach „Juno“?

 

Letztes Mal stand sie noch am Anfang ihrer Karriere, die inzwischen ganz schön an Fahrt gewonnen hat. Sie schrieb das Drehbuch, gab es mir, ich drehte den Film. Sie war auch nicht am Set. Das war viel professioneller.

 

Im Interview zu „Up in the Air“ erzählten Sie, wie die Arbeit an dem Film die Änderungen in Ihrem eigenen Lebe reflektierte: zwischen der Idee, dem Schreiben des Drehbuches und den Dreharbeiten heirateten Sie und wurden Vater. Gab es hier eine Parallele, auch wen das Drehbuch nicht von Ihnen selbst stammt und es sich um eine weibliche Hauptfigur handelt?

 

Jeder Film ist zu einem gewissen Grad autobiografisch. Auch wenn es hier nicht solch eine lineare Entwicklung wie bei „Up in the Air“ gibt, sind doch meine emotionalen Befürchtungen und Sehnsüchte hier aufgehoben. Ich verstehe Mavis’ Wunsch, geliebt zu werden und was sie falsch gemacht hat, um das zu erreichen. Ich kann einen Film nur inszenieren, wenn ich mich darin wiederfinde.