Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  New Moon – Biss zur Mittagsstunde

Im zweiten Teil der Bestsellerverfilmung verkracht sich Bella mit ihrem Vampir-Liebhaber Edward. Gut, dass da schon ein neuer Verehrer in der Kulisse steht. Jacob ist ein Werwolf. Und sein Pack kann den Vampiren gefährlich werden

Von Birgit Glombitza

Robert Pattinson, Kristen Stewart
© Fotos: Concorde

Was waren das noch für Zeiten, als Vampire gegessen haben, was auf den Tisch kam! Natürlich am liebsten Jungfrauenblut. An dieser Vorliebe hat sich bis heute nichts geändert. Aber traten die Nosferatus aus früheren Kinozeiten in die Gemächer ihrer Beute, dann fackelten sie nicht lange und bissen zu. Gierig saufend, schmatzend, stöhnend, bis auch die letzten Zweifler begreifen mussten, dass hier Todeskampf und Liebesakt ineinander übergingen und dass das, was sich auf der Leinwand abspielte, in jeder Hinsicht ungehörig war. Eine gottverlassene Kreatur und eine reine junge Frau, orgiastisch verschlungen bis zum Sonnenaufgang.

In Bram Stoker’s Dracula (1992) von Coppola wird diese sexuelle Aufladung noch auf eine groteske Spitze treiben. Kurz darauf wird Brad Pitt in Interview mit einem Vampir (1994) von Neil Jordan durch seine neue Vampirnatur in hamletsche Krisen gestürzt; der Mann versucht, sich überwiegend mordfrei mit Ratten durchzubringen. Und auch der blutsaugende Priester in Park Chan-Wooks Durst stillt  sein Verlangen zunächst skrupulös mit Blutkonserven. Die neuen Blutsauger des amerikanischen Blockbusterkinos jedoch stellen den Protestantismus ihrer zaudernden Kollegen weit in den Schatten. Die anä­mischen Protagonisten der »Twilight«-Geschichte sind von einer stählernen Moral, wie man sie nur aus Rauch-Entwöhnungsgruppen kennt. Wie er es geschafft habe, seiner Lust nach Menschenblut zu widerstehen, will die Heldin Bella (Kristen Stewart) einmal von einem Clanmitglied ihres geliebten Vampirs Edward (Robert Pattinson) wissen, als ihr gerade eine Glasscherbe aus dem stark blutenden Arm gezogen wird. »Mit reiner Willenskraft«, lautet die Antwort, »und vielen Jahren Training«. Bei diesen Unsterblichen darf man also von Dekaden unaufhörlicher Selbstdisziplinierung und Diäten ausgehen. Mit Max Schrecks Zwangshandlungen und Bela Lugosis Enthemmung hat das nichts mehr gemein.

Im zweiten Teil der Vampirsaga nach den vierbändigen »Twilight«-Bestsellern der Mormonin Stephenie Meyers wächst diese Prüderie buchstäblich ins Monströse. Immer wieder bietet sich die Heldin Bella mit ihrem ganzen erwartungsvoll zitternden Körper ihrer großen Liebe an, damit er sie endlich nähme und mit einem Biss sich gleich mache. Doch Edward nagt nur auf seiner chronisch entzündeten Unterlippe herum und gibt seinem Menschenmädchen einen Korb. Er entsagt, wie das moralische Helden so tun, kränkt sie sogar, stösst sie von sich, um sie zu retten. In den Armen des Öko-Indianers Jacob Black (Taylor Lautner) findet sie Trost. Bis sich wieder haargenau das Gleiche abspielt. Denn das hilfsbereite Muskelmännchen Jacob, das gerne mit nacktem Oberkörper durch den Regen rennt, ist ein Werwolf. Und damit die einzige Figur, die Bellas Vampir gefährlich werden kann in diesem aufgeheizten Märchenwald, dessen Unterholz allerlei austrainierte, unbefriedigte männliche Aggressionen beherbergt.

Aus dem romantischen Grundmuster –Vampirismus und Unsterblichkeit retten eine Teenagerliebe in die Ewigkeit – ist ein handzahmer Gothic-Themenpark geworden. Ein Kulissenstädtchen, hinter dessen Fensterläden eine höchst fragwürdige bürgerliche Idylle wohnt. Die Unbedingtheit, mit der jedes Hybrid-Geschöpf hier die Jungfräulichkeit zu schützen versucht, trägt durchaus Züge einer fundamentalistischen Moral. Umgekehrt lässt dieses Keuschheitsgelübde nur den Schluss zu, dass die bösen, Menschenblut trinkenden Vampire eine Horde charakterschwacher Konsumgeier sind. Die gibt es in der Verwandtschaft von Edward natürlich auch.

Was ist also zu halten von Draculas Enkeln? Von Edward, dem durchsichtig schimmernden Dandy in Designer-Röhren-Jeans und mit Trendfrisur? Einem Schnösel, der morgens aus seinem SUV steigt, zu seiner Freundin über den Campus schwebt, äußerlich dem Glamour eines heroinsüchtigen Popstars nacheifert, innerlich aber längst zum republikanischen Sittenwächter mutiert ist?

Psychologisch gesehen stecken nicht nur der Vampir, sondern auch die Protagonisten der Teenie- und Dating-Movies in einer Männlichkeitskrise: Edward, Jacob, Bellas pickliger menschlicher Verehrer, der keinen Splatterfilm durchsteht. Einer wie der andere instabile Charaktere, überzivilisiert, verklemmt, depressiv. Man könnte meinen, die garstigen Teen-Slasher der neunziger Jahre, von Scream bis Scary Movie, mit ihren kriminell enthemmten Serienmördern hätten dieses Burnout herauf beschworen. 

The Twilight Saga: New Moon
USA 2009. R: Chris Weitz. B: Melissa Rosenberg (Romanvorlage von Stephenie Meyer). P: Wyck Godrey, Karen Rosenfelt. K: Javier Aguirresarobe. Sch: Peter Lambert. M: Alexandre Desplat. A: David Brisbin. Pg: Summit/Sunswept/Temple Hill Entertainment. V: Concorde. L: 131 Min. FSK: 12, ff. Da: Kristen Stewart, Robert Pattinson, Taylor Lautner, Ashley Greene, Rachelle Lefevre, Billie Burke, Anna Kendrick, Peter Facinelli.



Start: 26.11. (D, A), 25.11. (CH)