Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  Watchmen – Die Wächter

Und wer rettet jetzt die Welt? Zack Snyders Realfilm-Adaption des Comics „Watchmen“ zeigt die Superhelden mal von einer anderen Seite – autoritär und durchgeknallt

von Sabine Horst


© Fotos: Paramount

Zack Snyders „Watchmen“-Adaption wäre ein guter Anlass, mal über die Frage nachzudenken, was Filme wirklich mit Comics machen. Nach mehr als einem halben Jahrhundert wuchernder Heftchenkultur dürfte eigentlich klar sein, dass wir es hier mit einer eigenständigen, für sich genommen kompletten Kunstform zu tun haben. Kann sein, dass man all die kinetische Energie, die in den Actionsequenzen gerade der Superhelden-Comics steckt, gerne auf einer Leinwand explodieren sehen möchte. Aber tatsächlich stecken die ästhetischen Möglichkeiten des Comics nicht zuletzt in der Sichtbarkeit der „Einzelbildschaltung“: Comics haben Ränder, Ecken und Kanten – etwas Kombinatorisches, Künstliches, Gebautes, das sich im nahtlosen Fluss der Filmbilder fast immer verliert.

Das trifft ganz besonders auf die „Watchmen“ zu, mit denen Alan Moore und Dave Gibbons in den Achtzigern der Comic-Literatur ihren „Ulysses“ zugeliefert haben: eine hochkomplexe Montagearbeit, die Grafik und Text in gleiche Rechte einsetzt, ein Scrapbook des Atomzeitalters, mit weitreichenden politischen Reflexionen, Anspielungen und Einschüben – darunter sogar ein Comic im Comic. Wenn diese Graphic Novel ein Gebäck wäre, dann vielleicht ein Blätterteig – mit vielen Bedeutungsschichten, an denen man lange zu knabbern hat. „300“-Regisseur Zack Snyder, der sich nach langem Hin und Her den Stoff gesichert hat, liefert ein deutlich flacheres Produkt. Aber der Teig hat seinen eigentümlichen Geschmack nicht ganz verloren.

Wir befinden uns in den achtziger Jahren, in einem alternativen Universum. Die Gegenkultur ist den Bach hinuntergegangen, Richard Nixon immer noch amerikanischer Präsident, und über den schmierigen, von Gewalt beherrschten Straßen New Yorks wehen die Werbebanner des Konsumkapitalismus. Der Superheld ist hier Teil des Alltags – und Schnee von gestern, denn zwei Generationen mehr oder minder durchgeknallter Vigilanten haben das Konzept des „freischaffenden Weltpolizisten“ gründlich diskreditiert. Obwohl die maskierten Rächer per Gesetz außer Dienst gestellt wurden, leistet sich die Regierung noch zwei Spezialagenten: Der eine, Dr. Manhattan, verfügt nach einem Strahlenunfall über geradezu göttliche Kräfte und hält den Systemkonkurrenten, die Russen, in Schach. Der andere, Comedian, erledigt Jobs auf dem Niveau des Kennedy-Attentats. Als der Comedian selbst umgebracht wird, gerät das Gleichgewicht des Schreckens ins Wanken. Jemand, so scheint es, hat es auf die verbliebenen Superhelden, die Gruppe der „Watchmen“ abgesehen. Rorschach (großartig: Jackie Earle Haley), der letzte, der noch auf eigene Rechnung arbeitet, vermutet eine Verschwörung. Die einen dritten Weltkrieg auslösen könnte.

Snyder versucht nicht, das Szenario des Buchs zu toppen oder seine Bilder zu übermalen. Im Gegenteil: Die Inszenierung erweckt zuweilen den Eindruck, als hätten die Panels der Vorlage unmittelbar als Storyboard gedient. Ein öliger Glanz liegt über den braungrauen Stadtansichten, das Design mischt aufs Unterhaltendste die Moden der Achtziger – Leggings, Ray-Ban, Graffiti - mit den Resten der Nachkriegs-Popkultur, der die Superhelden ihren Aufstieg verdanken, und die Besetzung der Hauptrollen dürfte selbst hartgesottenste Fanboys zufriedenstellen: Die Produktion hat sich für „semiprominente“ Darsteller – darunter Billy Crudup, Patrick Wilson und Matthew Goode - entschieden, die den Comic-Charakteren manchmal fast gespenstisch nahekommen.

Der Respekt vor dem Original zahlt sich fraglos aus. Auf dem Hintergrund gerade der populärsten jüngeren Superhelden-Filme, im Vergleich mit den Big Two, Batman und Spider-Man, wirkt diese Produktion schräg, unkonventionell und erwachsen. Der Film ist, trotz des Verzichts auf eine Menge „Paratext“, immer noch sehr dialoglastig, der Ton elegisch, die Actionsequenzen sind überschaubar - und übrigens auch mal wieder eher „geschnitten“ als geschreddert. Schön kompromisslos schließlich die Zeichnung der Hauptfiguren: Mindestens zwei der Titelhelden darf man Faschisten nennen, einer ist nicht von dieser Welt und der Sympathischste bezeichnenderweise ein bisschen impotent – will sagen: er kann nur, wenn er Latex trägt. Welche autoritären, dubiosen politischen Phantasien sich im Jahrhundert der Weltkriege, des Genozids und der Bombe an das Bild des Superhelden geheftet haben und auch heute noch heften - sicherlich kann man das Comeback des Selbsthelfers mit der „Rechtsauffassung“ der Regierung George W. Bush in Verbindung bringen - lässt sich an diesem Figurenensemble prächtig ablesen. So prächtig, dass es schon wieder ein bisschen zu glatt hinuntergeht, das politische Puzzle sich irgendwann in Identifikation und Abwehr, in Kino-Emotion auflöst. Die wandernden Flecke auf Rorschachs Maske, die im Buch auch mal zwei, drei Panels lang stehen und den Leser dazu animieren, nach einer Struktur, einer Semantik zu suchen, scheinen im Film beständig in Bewegung zu sein. Bis man nicht mehr so genau hinguckt.

Und das ist dann eben auch das Problem des Films. Er ist kein Comic. Wenn der Autor Alan Moore, wie er einmal gesagt haben soll, mit den „Watchmen“ zeigen wollte, was seine Kunst dem Kino voraushat, dann ist ihm das gelungen.

Watchmen
Großbritannien/USA/Kanada 2009. R: Zack Snyder. B: David Hayter, Alex Tse (nach dem Comic von Alan Moore und Dave Gibbons). P: Lloyd Levin, Deborah Snyder. K: Larry Fong. Sch: William Hoy. M: Tyler Bates. A: Alex McDowell. Pg: Warner/Paramount/Lawrence Gordon/DC Comics/Legendary. V: Paramount Pictures. L: 158 Min. FSK: 16, ff. FBW: Blindtext. Da: Malin Akerman, Billy Crudup, Matthew Goode, Carla Gugino, Jackie Earle Haley, Jeffrey Dean Morgan, Patrick Wilson.



Start: 5.3. (D, CH), 6.3. (A)