Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  Der Tag X

Am 6. August jährt sich der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki. Die Katastrophe hat auch auf der Leinwand ihre Spuren hinterlassen. Ein Rückblick auf das »Atom-Zeitalter« im Kino

von Stefan Höltgen


  

Als am 6. August 1945 die erste Atombombe in Hiroshima zum Einsatz kam und den Zweiten Weltkrieg beendete, trat die Welt in ein neues Zeitalter ein. Die Entdeckung und Nutzung der Kernenergie zu kriegerischen und friedlichen Zwecken bewegte die daran beteiligten Kulturen so nachhaltig, dass der Niederschlag in der Kunstproduktion stilistisch und thematisch bestimmend für die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde. Auch und vor allem der Film hat seismisch auf dieses Phänomen reagiert und seit Anfang der 1950er Jahre beinahe so etwas wie ein eigenes Genre entwickelt.

Dabei ist Radioaktivität als physikalisches Phänomen auf den ersten Blick überaus »unfilmisch«: Die tödlichen Strahlen sind unsichtbar. Weshalb Filme, die sich mit dem Atomkrieg und seinen Folgen beschäftigen, entweder gezwungen sind, eine metaphorische Bildsprache zu entwickeln oder die Unsichtbarkeit der Gefahr selbst zum Thema zu erheben. Eine bildhafte Entsprechung der Bedrohung ist die auf zahlreichen Filmplakaten ikonisch gewordene Darstellung des Atompilzes, jener typisch geformten Rauchwolke, die durch den enormen Druck und die Hitze der atomaren Kettenreaktion entsteht. Da­rüber hinaus besitzt die explosionsartige Kernspaltung jedoch etwas Filmisches auf der rein physikalischen Ebene: Atombombenexplosionen werden zuerst sichtbar durch einen Blitz, der, wie sich Zeitzeugenberichten entnehmen lässt, in Hiroshima und Nagasaki dazu geführt hat, dass sich die Schatten der angeblitzten Gegenstände selbst auf fertig entwickelten Fotografien einbrennen. Zudem lässt sich Radioaktivität sichtbar machen, wenn sie auf unentwickeltes Filmmaterial fällt, das dann schwarz gefärbt wird. Der Atompilz, der Blitz und die Belichtung des Filmmaterials sind in Filmen über den Atomkrieg zu visuellen Zeichen für den Beginn des Weltuntergangs geworden.

Die erste kulturell einflussreiche Spur hat der Atomkrieg 1959 in Alain Resnais’ Film Hiroshima mon amour hinterlassen, der jedoch vollständig ohne die erwähnten optischen Ingredienzien auskommt: Eine Französin und ein Japaner verbringen in Hiroshima eine Nacht miteinander und erinnern sich an den schicksalhaften Tag im Jahre 1945. Unsichtbar blieb der Krieg auch in Stanley Kramers im selben Jahr veröffentlichter Dystopie On the Beach, in der sich die letzten Menschen in Australien zusammenfinden, während sich ihnen die radioaktive Wolke nähert. Kramer beschreibt in ambivalentem Tonfall, wie sich die Schicksale seiner Protagonisten angesichts des nahen Todes entwickeln, ist jedoch nicht in der Lage, Hoffnung zu spenden. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, als die Gefahr eines globalen atomaren Konfliktes noch unrealistisch schien, haben Filme wie Hiroshima mon amour und On the Beach Gedankenexperimenten gleich das Trauma von Hiroshima und die Frage einer durch technisches oder menschliches Versagen herbeigeführten Katastrophe erörtert.

Als sich Anfang der 1960er Jahre durch den Kubakonflikt die politische Lage zwischen den West- und Ostmächten zuspitzt, reagiert der Film ganz anders darauf – direkter, politischer, paranoider, wenn man so will. 1964 spielte Sidney Lumet in Failsafe noch einmal mit dem Gedanken, was geschähe, wenn durch ein technisches Versagen Atombomben nach Moskau geschickt würden. Im selben Jahr zeichnete Stanley Kubrick den Wahnsinn, der sich hinter dem »Megadeath« eines atomaren Konfliktes verbirgt, in seiner bitteren Komödie Dr. Strangelove nach. Von der Hybris der Militärs, die einen Atomkonflikt, in dem es keine Gewinner geben kann, für sich entscheiden wollen, erzählt John Frankenheimer im selben Jahr in Seven Days in May, in dem sich einige Generäle gegen den abrüstungsbereiten US-Präsidenten verschwören. Die Anspielung auf John F. Kennedy, der die Kubakrise heraufbeschworen und in einer außergewöhnlichen außenpolitischen Anstrengung bewältigt hatte, scheinen überdeutlich.

Der Brite Peter Watkins wirft ebenfalls 1964 in seiner TV-Dokumentation »The War Game« die Frage auf, was denn geschähe, wenn es zum Atomkrieg käme. Der Film ist ein Gegengewicht zu den ab den 1950er Jahren vom US-Verteidigungsministerium erstellten Werbe- und Kurzfilmen, die die Bevölkerung beruhigen und die Folgen des nuklearen Holocaust verharmlosen sollten. »Duck and Cover« – sich ducken und bedecken im Moment der Explosion: So lautete der populäre wie zynische Rat an die Menschen. Einen Eindruck von der propagandistischen Machart dieser Filme vermittelte die 1982 entstandene Kompilation The Atomic Café, ein »Kultfilm« der Zeit von »Petting statt Pershing«. Wie zynisch die Gebrauchsanweisungen zum Atomkrieg waren, hat der 1986 erschienene Zeichentrickfilm Wenn der Wind weht von Jimmy Murakami verdeutlicht: Dort versteckt sich ein altes Ehepaar auf Anraten der britischen Regierung hinter einer an die Wand gelehnten Tür vor der Strahlung – und geht langsam zugrunde. Ein düsteres Licht auf das Überleben der Menschheit im Angesicht des Dritten Weltkrieges werfen etliche Filme dieser Zeit, Filme, die nach »Parallelwelten« suchen, in denen Zuflucht zu finden wäre. 1960 entwarf George Pal mit The Time Machine die vielleicht erste Alternative: einfach in die Zeit nach dem Atomkrieg flüchten, wenn alle Strahlung verflogen ist und die Welt sich wieder erholt hat. Was sein Protagonist im Jahre 802.701 nach Christus (bis dahin wäre das Uran der Atombomben allerdings noch nicht einmal zu einem Bruchteil abgebaut) erlebt, macht jedoch nicht gerade Hoffnung: Unterirdische Kannibalen halten sich emotions- und willenlose Menschen als Schlachtvieh.

In den 1970er Jahren etabliert sich ein Blick auf die postatomare Welt, der genau die­se Frage wieder aufgreift: Was wird aus der menschlichen Gesellschaft »danach«? L. Q. Jones gibt in A Boy and His Dog 1974 darauf eine Antwort, die für ein ganzes Subgenre des Science-Fiction-Films paradigmatisch geworden ist. In seinem Film bevölkern Barbaren die postatomare Welt, während sich im Untergrund eine christofaschistische Kultur entwickelt hat. Von A Boy and His Dog abgeleitete Endzeitfilme wie Mad Max 2 (1982) oder Hardware (1990) entfernen sich dann vom Thema des Atomkriegs und entwickeln utopische Actionszenarien mit ganz eigenem Charakter. 1977 schien zumindest hierzulande eine solche Darstellung noch unschicklich zu sein: Die verstrahlten Mutanten aus Wes Cravens The Hills have Eyes, die sich auf einem Atomtestgelände zu kannibalischen Menschenjägern entwickelt haben, wurden in der deutschen Fassung Hügel der blutigen Augen kurzerhand zu Aliens umdefiniert, in einer Neusynchronisation, die bis heute als eine der dreistesten Entstellungen der Filmgeschichte gilt.

Abermals wurde durch eine amerikani­sche Präsidentschaftswahl eine Wende in das Thema Atomkrieg im Film eingeführt, als im Produktionsjahr von The Hills have Eyes der Demokrat und spätere Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter die Regierung an den Republikaner Ronald Reagan abgab. Der Kalte Krieg wurde wieder heiß, und die Filme der 1980er Jahre gehören zu den bedrückendsten ihrer Art. Vor allem Nicholas Meyers 1983 erschienene TV-Produktion »The Day After«, die noch heute Inbegriff des Antiatomkriegsfilms ist, versuchte die Katastrophe mit unzweideutigen Bildern zu zeichnen: Gezeigt werden verschiedene Menschen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen, die die Eskalation bis hin zu den Raketenabschüssen miterleben und danach im Chaos, in der Verzweiflung, vor allem aber an den Strahlen langsam zugrunde gehen. Noch eindrücklicher zeichnet den Untergang der im selben Jahr erschienene Testament von Lynne Littman, die das Leben und Sterben einer Kleinfamilie in einem weitab vom Epizentrum einer Atomexplosion gelegenen Stadt betrachtet. Eine Mutter, die nach und nach ihre Kinder sterben sieht und zu Grabe trägt, in einer Gemeinschaft, die von Verzweiflung und Angst geplagt ist – das ist das intimste Gesicht des Atom­kriegs, das der Film bis heute gezeichnet hat.

Doch nicht nur die Amerikaner haben sich mit dem Schrecken auseinandergesetzt. In Frankreich entstand unter der Regie von Christian de Chalonge 1981 Malevil, der vom Überleben einer kleinen Gruppe in einem französischen Provinzdörfchen erzählt. Stefan Aust, Axel Engstfeld, Alexander Kluge und Volker Schlöndorff richteten in ihrem Episodenfilm Krieg und Frieden 1982 den Blick aus vier unterschiedlichen Perspektiven auf den atomaren Holocaust: eine Mischung aus Spielfilm und Dokumentarismus, satirisch und aufklärerisch. In der UdSSR drehte Konstantin Lopushansky 1986 mit Briefe eines Toten einen deprimierenden »Nachkriegsfilm«, der das Sterben eines alten Professors im Bunker eines Museums dokumentiert.

Man könnte meinen, dass mit der Auflösung der großen politischen Systeme das Thema Atomkrieg an Brisanz verloren hat. Dem ist jedoch nicht so. Auch in jüngerer Zeit entstehen Filme, die sich damit beschäftigen, nun jedoch oft als extrem utopisches Gedankenspiel, wie in Elio Quirogas The Cold Hour (2006), der vom Überlebenskampf der letzten Menschen auf dem Mond berichtet. Oder Right at Your Door von Chris Gorak, ebenfalls 2006, der die Vision eines Atomangriffs mit einer »schmutzigen Bombe« auf Los Angeles entwirft. Auch in Goraks Film wird die große Katastrophe durch das kleine Drama anschaulich gemacht, wenn ein Ehemann sich in seinem Haus versiegelt, um die tödlich gewordene Luft draußen zu halten, während seine Frau vor seiner Tür sterben muss. Die Atombombe hat vielleicht ihren konkreten Schrecken verloren – als Platzhalter für kulturelle Ängste und Metapher für Bedrohungen wird sie dem Film jedoch erhalten bleiben. Ihre Allgegenwart und die beunruhigende Unsichtbarkeit ihres Drohpotenzials sind beispiellos. Die Bombe erinnert uns an unsere gefährliche Vergangenheit und ungewisse Zukunft.