Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  Alte Filme und neue Tränen

Eine Begegnung mit der Schauspielerin Jane Fonda auf der Viennale

von Marli Feldvoß

Jane Fonda in "Barbarella"
  

Jane Fonda im Blitzlichtgewitter wie in alten Zeiten, flankiert von einem Schwarm von Fotografen, die wahrscheinlich noch nie einen Film von ihr gesehen haben. Fünfzehn Jahre lang hatte sie sich ganz aus dem Filmgeschäft zurückgezogen. Ihre alten Filme aus den Siebzigern sind inzwischen zu Klassikern geworden. Die diesjährige Viennale widmete der Schauspielerin, die am 21. Dezember 70 Jahre alt wird, eine Hommage und zwei Galavorstellungen.

Zur Eröffnung – ein Novum in der Geschichte der Viennale – wurde ein Film gezeigt, der schon fast vierzig Jahre alt ist: der Klassiker Klute, für den Jane Fonda 1971 ihren ersten Oscar gewann. Und da standen dem Ehrengast aus Atlanta, Georgia, zum ersten Mal die Tränen in den Augen.

Jane Fonda hatte in den letzten Jahren vor allem als gelenkige Vorturnerin und als Erfinderin der Aerobic-Industrie von sich reden gemacht. Danach, während ihrer dritten Ehe, war sie vor allem die Gattin von Medienmogul Ted Turner, bis sie die Schriftstellerei entdeckte und – kurz nach der Scheidung – ihre Autobiografie veröffentlichte: „My Life So Far.“ Und jetzt, versichert sie, arbeite sie sogar an vier Büchern gleichzeitig. Ihr letzter Leinwandauftritt im Melodram Stanley & Iris als beherzte Witwe an der Seite von Robert de Niro als Koch, dem sie das Lesen beizubringen hatte, war von der lauwarmen Sorte. Das ist siebzehn Jahre her. Dann, vor zwei Jahren, war sie plötzlich wieder da, als böse Schwiegermutter in Monster-in-Law, was ihr einen Eintrag in der Liste der schlechtesten Filme einbrachte. Aber beim nächsten Versuch, dem Dreigenerationenfilm Georgia Rule in einer Großmutterrolle mit Felicity Huffman als Tochter und Lindsay Lohan als Enkelin, der im Mai 2007 in den USA herauskam, waren die Kritiker wieder milde gestimmt.

Auf der Eröffnungsgala in Wien, als die ersten Stimmungsbilder des New Yorker Psychothrillers Klute über die Leinwand flimmerten mit der jungen Fonda in ihrer Oscarrolle als Callgirl Bree, war schon nach wenigen Filmminuten sonnenklar, dass dieser Kultfilm von Alan J. Pakula um keinen Tag gealtert war. Selbst die Mode – hohe Stiefel und karierte Röcke, midilang oder minikurz, die Jane Fonda darin trägt – ist inzwischen wieder hip. Für den Besuch in Wien hat sich der Star eine vergleichweise zeitlose, doch deutlich amerikanisch anmutende Eleganz zugelegt. Schmeichelnde helle Töne, gebrochenes Weiß bis Crèmefarben, schlanke Kostüme mit sportlichen Krägen über dem figurbetonten Ausschnitt. Auch die blondierte Kurzhaarfrisur zeigt amerikanische Standfestigkeit. Die von Natur aus dunkelblonde, immer noch zierliche Jane Fonda schafft es locker, ihre demnächst siebzig Lebensjahre um zehn bis fünfzehn Jahre zurückzudatieren. Kompliment!

Klute hätte besser „Bree“ oder „Miss Daniel“ heißen sollen, das war bereits Roger Greenspun von der „New York Times“ aufgefallen, weil sich der Zuschauer von Anfang an mit dem durch anonyme Anrufe bedrohten Callgirl Bree Daniel identifiziert und nicht mit dem etwas langweiligen Polizisten John Klute, gespielt von Donald Sutherland. Es war Fondas zweite anspruchsvolle Rolle nach Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss (Regie Sydney Pollack), der in der Zeit der Depression spielt und die Wahrheit des berühmt-berüchtigten Ballroomdancing enthüllt: Tanzen bis zum Umfallen. Fonda als bildschöne, aber hoffnungslose Gloria gibt sich zum Schluss selbst die Kugel.

Wie im wirklichen Leben
Jane Fonda hat Klute seit vierzig Jahren nicht mehr auf der großen Leinwand gesehen. Er sei einer ihrer Lieblingsfilme, ein Wendepunkt in ihrer Karriere. „Ich begab mich zehn Tage lang in die New Yorker Unterwelt, war dabei, als sich die Callgirls ihr Kokain kauften und es sich reinzogen. Und keiner der Zuhälter hat mich je angemacht. Das hat mich total entmutigt. Ich war einfach kein Callgirl. Ich bin deshalb zu Pakula gegangen und wollte aussteigen. Faye Dunaway sollte besser die Rolle übernehmen. Aber Pakula lehnte ab.“ Zwischen Barbarella und Klute war viel in der Weltgeschichte passiert, Fonda hatte den Mai ‘68 und die Anfeindungen gegen die Amerikaner in Paris erlebt und war nach ihrer Ehe mit Roger Vadim nach Hause zurückgekehrt. Und dabei vollzog sich die Wandlung – Jane Fonda wurde zur politischen Aktivistin und plagte sich mit ihren Zweifeln herum, ob es politisch korrekt sei, als Feministin ein Callgirl zu spielen.

Nach der Galavorstellung von Coming Home, am nächsten Abend, waren wieder Tränen angesagt. Aber dann greift Fonda beherzt nach dem Bier des Festivalleiters: „You don’t need it. We need it.“ Auf ihre spontane Art prostet sie demonstrativ dem Kinopublikum und Kameramann Haskell Wexler zu, der neben ihr auf dem Podium sitzt. Breitbeinig im eleganten Abendanzug. Das Flair der siebziger Jahre liegt in der Luft. Flower Power und das Trauerspiel der Vietnam Veterans. „Ich habe mit den Soldaten gesprochen, die aus Vietnam zurückkamen. Was ich da gehört habe, hat mich dazu bewogen, diesen Film zu drehen. Ron Kovic, der in Geboren am 4. Juli von Tom Cruise gespielt wird, ist ein Freund von mir. Ich war 1973 mit ihm auf einer Antikriegsveranstaltung auf dem Campus. Er sprach vor Tausenden von Studenten aus seinem Rollstuhl heraus über den Krieg, wie sehr er an den Krieg geglaubt habe, dann verwundet wurde, so wie Luke, die Figur von Jon Voight in Coming Home. Ihm wurde erst in der Heimat durch die schlechten Erfahrungen als Kriegsveteran – weil man sich so wenig um sie kümmerte –, wie es um die Natur des Krieges bestellt war: dass sie nur für eine Lüge missbraucht wurden – wie heute die Soldaten im Irak. Und er sagte zu den Studenten: ‘Ich habe vielleicht meinen Körper verloren, aber dafür meinen Verstand wiedergewonnen.’ Ich hatte vergessen, dass Jon Voight in seiner Rolle in Coming Home am Schluss genau die gleichen Worte spricht. Das war alles authentisch. Den Film wollte damals keiner machen, es dauerte sechs Jahre, bis wir es geschafft haben.“

In Coming Home, den Fonda mit ihrer Firma IPC Films auch selbst produzierte, spielt sie neben Jon Voight und Bruce Dern die Hausfrau Sally, die langsam eine Politisierung erfährt und, anders als ihr später ebenfalls verwundeter Mann, aus diesem Krieg eine bittere Lehre zieht. Der Film kam 1978 in die Kinos. Der Mythos von „Hanoi Jane“, der 1972 bei ihrer ersten Vietnam-Reise entstand, treibe, wie sie berichtet, allerdings noch heute seine welken Blüten. Noch heute wird die „privilegierte Tochter aus dem Hause Fonda“ mit den unguten Gefühlen konfrontiert, dass sie damals ihr Land „verraten“ habe.

Auf der abschließenden Pressekonferenz wieder Tränen, als Fonda über die Dreharbeiten mit ihrem Vater in On Golden Pond erzählt, über den großen Schauspieler und offenbar eiskalten, durch nichts zu rührenden Mann, der es seinen Kindern Jane und Peter immer schwergemacht hat. In On Golden Pond (1981), ebenfalls von ihr selbst produziert, standen sie ein einziges Mal gemeinsam vor der Kamera. Jane Fonda spielt, wie im wirklichen Leben, die 42-jährige Tochter Chelsea des schon gebrechlichen Ehepaars Ethel und Norman Thayer (Katharine Hepburn und Henry Fonda), die am Golden Pond gemeinsam ihre vielleicht letzten Sommerferien verbringen. „Wenn Sie den Film sehen, erfahren Sie viel über meine wirkliche Beziehung zu meinem Vater. Es war für mich wie ein Segen, in einem Film zu spielen, in dem Vater und Tochter ihre Versöhnung feiern. Aber die meiste Zeit fühlte ich mich richtig schlecht, ich wollte lieber sterben. Da gab es eine Szene, da fühlte ich mich genau wie Chelsea. Die eine Hälfte von mir fühlte sich wie ein Nichts, weil ihr Vater sie zu einem Nichts herabwürdigte, die andere Hälfte sagte, genauso sollte sich Chelsea fühlen. Und abends, als die andern schon gingen, saß ich allein auf der Couch und konnte mich nicht bewegen. Da fühlte ich, wie sich plötzlich ein Arm um meine Schultern legte. Es war Katharine Hepburn. ‘Er weiß nicht, dass er dich verletzt. Er hat es nicht so gemeint. Spence hat es mit mir auch immer so gemacht.’ Ich kann Ihnen nicht sagen, was das für mich bedeutete, dass sie auch so etwas erlebt hat und so zu mir sprechen konnte. In meiner großen Szene, als ich zu ihm sagte: ‘Ich will dein Freund sein’, wollte ich, dass er doch endlich einmal emotional würde. Und als ich ihn am Arm berührte, habe ich doch Tränen in seinen Augen entdeckt. Das bedeutete die ganze Welt für mich. Und als dann meine Großaufnahme kam, war ich wie ausgetrocknet. Nichts war übrig. Der Alptraum eines Schauspielers. Und dann kam wieder Katharine und rettete mich – wie eine Mutter.“

Jane Fonda erzählte zehn Minuten über On Golden Pond. Es wirkte wie ein Monolog; als wollte sie sich – zwischen Weinen und Lachen – noch einmal von ihrem Vater, der fünf Monate nach dem Filmstart verstarb, verabschieden. Es war der Höhepunkt ihrer Pressekonferenz, auf der sich auch die politische Jane Fonda zu Wort meldete, die immer noch das subversive Kino schätzt, besonders die Clooney-Filme Syriana oder Good Night. Good Luck, die sich immer noch politische Illusionen macht. „Ich habe diese Vision, dass ich George W. Bush bei einem Barbecue in Texas treffe. Dass ich mich mit ihm anfreunde und ihn zu einer Reise nach Afrika einlade. Dass ich ihm dort einen Ort zeige, wo Frauen sterben, weil sie vierzehn Kinder geboren haben. Dass ich ihm auf eine menschliche Art zeige, wie die menschlichen Folgen seiner Politik aussehen. Er ist doch auch ein Mensch. Er ist doch ein Christ. Er muss doch sagen: I’m sorry. Ich bin eben die geborene Optimistin.“

epd Film 12/2007