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  Die Supernasen

Warum französische Schauspieler immer so verhauen aussehen und trotzdem sexy sind

von Birgit Roschy

Sie gucken immer ein bisschen grantig, wie Babys, die keinen Mittagsschlaf bekommen haben. Sie sehen aus, als ob sie keine fünf Kilometer Jogging durchstehen, geschweige denn auf die Idee kommen würden. Sie leben von hastigen Espresso-Schlucken aus winzigen Tässchen und von Zigaretten. Ihre Lieblingsbeschäftigungen sind Frauen betrachten und sarkastisch reden, oft über Frauen. Könnte man sie riechen, so müffelten sie nach abgestandenem Rauch, ein wenig ungewaschen obendrein.

 

Überprüft man dieses alte Image französischer Film-Männer, so wird man bald feststellen, dass sich seit Jean Gabins Glanzzeiten – lässt man den Hygieneaspekt einmal beiseite – nichts Wesentliches geändert hat. Auch nicht die Tatsache, dass selbst der älteste Knochen unter den männlichen Hauptdarstellern (zumindest in jenen französischen Filmen, die auf den internationalen Markt gelangen) eine eigenwillige, auch erotische, Präsenz ausstrahlt. Dabei sind weder Gérard Depardieu, seit Jahrzehnten der Platzhirsch des französischen Kinos, noch Daniel Auteuil, der seit langem einen guten zweiten Platz behauptet, noch ihre Kollegen wie etwa Jean-Pierre Darroussin, der als unrasierter Zausel (z.B. in St. Jacques – Pilgern auf französisch und Dialog mit meinem Gärtner) den Spuren des früh verstorbenen Patrick Dewaere (Die Ausgebufften 1974) zu folgen scheint, besonders attraktive Männer. Im Gegenteil: die französische Filmindustrie präsentiert neben aparten Jungschauspielerinnen stetig neue Männergesichter, die wie Benoît Magimel, Guillaume Canet, Guillaume Depardieu und Romain Duris das Kontrastprogramm zu den von Hollywood gesetzten Standards bilden. Hier hübsche, durchtrainierte Sunnyboys, ganz Muskeln und weiße Zähne, dort gestandene Typen zwischen Miesmuffeligkeit, Melancholie und nicht selten Raubauzigkeit; optisch oft Kümmerlinge, (eben „Französl“, wie mein Vater, halb mitleidig, halb amüsiert, unsere Gäste der „Jumelage“, bei der in den Siebzigern erstmals ein Querschnitt französischer Männer besichtigt werden konnte, nannte).

Natürlich wäre es verkehrt, von Schauspielern einfach auf die Realität zu schließen, in der die Bandbreite der „belles gueules“ von Alain Delon als „Number Ten“ bis zu „Zero“-Schriftsteller Michel Houellebecq an einem seiner besonders schlechten Tage  reicht. Nimmt man Film aber nicht nur als Ausdruck von Regisseurfantasien, sondern als Spiegel oft unbewusster Publikumserwartungen, so stellt man mit Erstaunen fest, dass das französische Kino seit Alain Delon keinen Schönling mehr hervorgebracht hat. Und jetzt ist Best-Ager Delon nach seiner Dorian-Gray-haften Metamorphose zum alten Weib ein ästhetischer Totalausfall. Der knuffigen Fressen à la Jean Gabin, Gérard Depardieu und Jean-Paul Belmondo wird man dagegen nie müde. Und da ist noch ein markantes Detail, das französische Schauspieler von ihren stupsnäsigen amerikanischen Klons unterscheidet: die Nase. Solche Zinken wie sie Depardieu, Belmondo, Auteuil und Vincent Cassel im Gesicht tragen, lassen sich nicht wegoperieren.

In der Komödie Green Card (1990) gelingt Gérard Wo-ist-die-nächste-Kamera Depardieu als Franzose in New York eine nahezu parodistische Verkörperung dieses französischen Paradoxes: schmuddlig, speckig, Kette rauchend, und von Frauen durchaus nachvollziehbar umschwärmt wie ein pain au chocolat von Wespen. Sein Ensemble asymmetrischer Gesichtszüge in Kombination mit seiner massigen Sinnlichkeit macht den Vieldreher, vom Columbus bis zum Cretin, zum Passepartout für jede Rolle.

Anders Daniel Auteuil, der wie Depardieu stramm auf die 60 zugeht, jedoch erst mit dem Melodram Ein Herz im Winter (1992) international bekannter wurde: in der Rolle eines introvertierten Geigenbauers, der verliebte Signale an die bildschöne neue Geliebte seines Freundes sendet und sie dann am ausgestreckten Arm verhungern lässt. Man sah ihn auch als intellektuellen Marquis de Sade (Sade, 2000, Regie: Benoît Jacquot) im Schatten der Guillotine, der die éducation sentimentale einer jungen Adeligen übernimmt, die mit ihm zusammen interniert ist. „Sein bevorzugter Köder ist ein hypnotisches Starren – ähnlich einer räuberischen Eule, die nachsichtig eine Maus beobachtet“, beschrieb ihn die New Yorker „Village Voice“. Tatsächlich wirkt Daniel Auteuil in seinen Filmen (mit Dialog mit meinem Gärtner und Mein bester Freund laufen zurzeit zwei Produktionen mit ihm an) auch stets etwas anämisch. Und als braver Angestellter, der sich in der herrlichen Komödie Ein Mann sieht rosa (2001) dazu überreden lässt, sich als Homosexueller zu outen, um mit Hilfe des Antidiskriminierungsgesetzes der drohenden Kündigung zu entgehen, ist seine stille Gequältheit der Motor einer ganz speziellen Komik. Mit einem Kondommützchen auf dem Kopf nimmt der sanftmütige Hetero an einer Schwulenparade teil. Sein Kollege – Gérard Depardieu als grenzdebiler, bulliger Firmentrainer – erkennt die wahre Natur seiner Gefühle für sein ehemaliges Mobbingopfer und bekommt einen Nervenzusammenbruch.

Überhaupt ist es ein Fest, mitzuerleben, wenn sich französische Charakterstars zum Narren machen und auch immer mal wieder mit Homosexualität flirten. Wer nicht Gérard Depardieu im Tigerslip in Bertrand Bliers Satire Abendanzug (1986) gesehen hat, wie er pausenlos den milchbrötchenhaften Michel Blanc anmacht und mal eben dessen frustrierte Ehefrau Miou-Miou abblitzen lässt, der hat das Beste verpasst. Selbst Actionheld Jean-Paul Belmondo war sich nicht zu schade, in der Komödie Ein irrer Typ (1977) eine Doppelrolle als Stunt-Macho, der bei jedem Einsatz eine Schneise der Verwüstung hinter sich lässt, und zugleich als schwuler Starschauspieler zu übernehmen: köstlich. Auch seine berühmten letzten Worte „Ich finde dich einfach zum Kotzen“ in Ausser Atem (1960) würde ein amerikanischer Schauspieler nie so überzeugend über die Lippen bringen. Die Amerikanerin Jean Seberg, für die der Antiheld sein Leben aushaucht, behält jedoch das allerletzte Wort, als sie nachfragt, was denn dieser Satz bedeute: ein trauriger Running Gag, ist sie doch die ganze Zeit so eifrig bemüht, die Sprache zu lernen.

 

Besonders amerikanische Regisseure, die Legionen von aseptischen Poster-Boys zur Auswahl haben, scheinen fasziniert vom Rätsel der hübsch hässlichen Franzosen und versuchen immer mal wieder, sie in ihren Filmen unterzubringen. Doch das spezielle Charisma eines Gérard Depardieu oder auch von Vincent Cassel, der sich etwa in Oceans 12 (2004) und 13 (2007) als der typisch gockelhafte, arrogante Froschfresser gerieren muss, zerfließt unter kalifornischer Sonne wie ein Camembert. Die „French Connection“ funktioniert nur mit dem glattgesichtigen Thierry Lhermitte, der mit seinen strahlend blauen Augen öfter mal – zuletzt in Eine Affäre in Paris (2003, Regie: James Ivory) – den französischen Verführer geben darf. In seiner einzigen Hauptrolle in einem französischen Kinofilm, in Dinner für Spinner (1998), wird der aalglatte Frauenheld stattdessen aufs Vergnüglichste demontiert. Hochinteressant in seiner Verlogenheit ist aber Lhermittes amerikanisch-französischer Liebesfilm Until September (1984), in dem eine frisch geschiedene amerikanische Touristin (Karen Allen) in Paris eine Affäre mit ihrem schicken Nachbarn Xavier de la Perouse (allein der Name!) beginnt, für den außerhäusige Techtelmechtel zum Lifestyle gehören. Das Happy End besteht darin, dass die großäugige Naive, das Wort Liebe mit Ausrufezeichen buchstabierend, Xavier dazu bringt, Frau und Kinderchen, die aus dem Urlaub zurückkehren, zu verlassen. Man stelle sich dergleichen am Filmtatort USA vor, wo in der Regel nur der Tod eines Partners die Ehe scheidet und die Versöhnung stets von tränenreichen Beichten, Therapien, und demonstrativer Hysterie begleitet ist. Melvil Poupaud in der Rolle des treulosen Franzmannes, der in Eine Affäre in Paris seine amerikanische Ehefrau Naomi Watts verlässt, wird übrigens erschossen.

Obgleich es in der Realität laut Statistik null Unterschiede in der Seitensprunghäufigkeit gibt, bleibt die in französischen Filmen demonstrierte Reuelosigkeit in Liebesdingen nicht nur für Amerikaner ein Faszinosum. Man könnte auch sagen: Wo amerikanische Schauspieler permanent als Familienernährer oder Soldat ihre Männlichkeit beweisen müssen – und es gibt filmisch nichts Öderes mehr als die Qualen gestresster Ehemänner unter den anklagenden Blicken blondierter Gattinnen, die, während Männe schuftet, shoppen gehen und ihrer mürrischen Kids, die vorm Fernseher lümmeln – finden französische Filme die Scharmützel auf dem Schlachtfeld der Liebe spannender.

In Eric Rohmers Komödie Sommer (1996) etwa sieht sich der unfreiwillige Nachwuchsverführer Melvil Poupaud vor die Aufgabe gestellt, gleich drei erwartungsvolle Frauen unter einen Hut zu bringen. Im Tagebuch eines Verführers (1996) verfällt jeder Leser, der den titelgebenden Kierkegaard-Roman liest, dem Ausleiher; im Zentrum steht erneut Hänfling Poupaud, der mit seiner melancholischen Aura zwar ganz niedlich ist, aber geradezu die Antithese zu Hollywood-Beaus und ihrer manischen Energie darstellt. Auch im Erfolgsfilm Der Mann der Friseuse (1990), in dem Jean Rochefort, der stets ein bisschen wie ein hölzerner Zinnsoldat wirkt, seine schöne Friseuse anlüstert, ist die große Liebe eher Krankheit und Obsession denn erstrebenswertes Ziel. Immer aufs Neue variieren französische Beziehungsfilme stattdessen die Redewendung „Suis-moi que je te fuis, fuis-moi que je te suis“ – „Lauf mir nach, damit ich davonrenne, renn weg, damit ich dir nachlaufe“, was zuletzt im subtilen Verführungsspiel in Depardieus Chanson d'amour (2006) mitzuerleben war – und auch in der oben genannten Komödie Ein Mann sieht rosa, in dem Daniel Auteuil erst dann von seiner tollen Chefin in die nähere Auswahl gezogen wird, als sie testen will, ob er wirklich schwul ist.

Zudem driften „Liaisons Dangereuses“ in Zeiten wachsender ökonomischer Unabhängigkeit von Frauen fast unweigerlich von der potenziellen Tragödie zur Komödie: eine Mme. Tourvel würde heutzutage nicht mehr im Kloster dem Wahnsinn verfallen. Auch würde eine Fanny Ardant, die in Truffauts Die Frau nebenan (1981) ihren Lover und sich selbst erschießt, 25 Jahre später niemanden mehr vom Hocker reißen. Längst sind Liebeswirren im französischen Film vom Schicksal zum aufregenden Hobby mutiert, zum Spiel mit Netz und doppeltem Boden, sind Frauen mit Liebeskummer stets eher Objekt des Spottes denn Opfer und Märtyrerinnen. Und anders als in amerikanischen Filmen (von deutschen wollen wir hier nicht reden – der Befund wäre zu deprimierend) machen französische Schauspieler nie den Eindruck, als ob sie Angst vor hübschen Selbstversorgerinnen hätten. Selbst ein Louis de Funès strahlt wie selbstverständlich Woody Allens Überzeugung „Seh' ich aus wie einer, der Schwierigkeiten mit Frauen hat?“ aus und nimmt sich zugleich selbst nicht so furchtbar ernst. Vielleicht liegt das „Jenesaisquoi“ der Darsteller, die keine Supermänner sein müssen, um Frauen zu erobern, in dieser Unbefangenheit: die tun nichts, die wollen bloß spielen. Das unrasierte Äußere und der sorgfältig gepflegte Prolo-Stil, den mit Jean Reno auch Romain Duris zu Markte trägt, begleitet von existenzieller Brummeligkeit, erhöht nur den Reiz. Wann hat man je in französischen Filmen einen Mann ohne Sarkasmus lachen sehen? Das Zähne zeigen ist hier entweder Unterwerfungsgeste, wie etwa im verkrampften Lächeln Daniel Auteuils in Ein Mann sieht rosa, oder ein Zeichen von Dummheit wie bei Gérard Depardieu in seiner Komödie Ruby & Quentin (2003), in der er Jean Reno mit seinem idiotischen Grinsen rasend macht. So süß, diese kleinen Machos.

epd Film 12/2007