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  Sex-Business made in Germany

Anmerkungen zum deutschen Erotikkino der 60er und 70er

von Hans Schifferle


  

Für manche ist er Inbegriff des schlechten Geschmacks, für andere geadelter Trash: der deutsche Sexfilm. Immerhin: Es gab einmal eine Zeit, da machten Sexfilme rund die Hälfte der bundesdeutschen Filmproduktion aus. Marc Rothemund hat mit seinem Pornorama einen Ausflug in jene Jahre unternommen, als Aufklärungsfilme die Leinwand dominierten; der Film startet im Oktober. Ein Rückblick auf ein verschwundenes Genre.

Die Frau ist Parteivorsitzende, eine rothaarige, laszive Diva, stets erotisch gekleidet. Sie lebt gut bürgerlich, beinahe feudal – soweit das die billige Filmproduktion darzustellen vermag. Vor der Villa jedenfalls steht ein schnauzbärtiger Chauffeur bereit, die Lady im Mercedes 600 ins Büro zu kutschieren. Bei diesem morgendlichen Trip wird auch hin und wieder ein gut aussehender Student der Sexualwissenschaften auf dem Weg zur Uni mitgenommen und sogleich im Fond der Limousine nach allen Regeln der Kunst verführt. Die Frau fungiert nämlich als Vorsitzende der Deutschen Sexpartei. Das Parteibüro ist zugleich Fotostudio, in dem ein bayerisch radebrechender Schwarzer Pornos dreht, und Anlaufstelle für gefallene Mädchen, die nach Adressen in Sachen Schwangerschaftsabbruch suchen. Zudem geriert sich der Chauffeur von Madame als polternder Komik-Anarchist, der buchstäblich auf die Kräfte der staatlichen Autorität herunterpinkelt. Ein vom Gebüsch aus die Sexpartei ausspionierender, übereifriger Kriminaler bekommt so den Strahl des Proleten zu spüren. Hurra … die Deutsche Sexpartei heißt dieser hier kurz skizzierte Film. 1974 inszeniert von dem Reutlinger Sexfilmer Barny Bornhauser. Der Film ist gerade wieder erschienen in der DVD-Box „Lederhosenfilme“ bei e-m-s, in der sich auch noch Machwerke mit so exquisiten Titeln wie Orgien in der Lederhose, Lass jucken Trucker und Nackt und kess am Königssee finden. Bornhausers Sexpartei-Film ist durchaus programmatisch zu sehen für die zahlreichen deutschen Sexfilme der 70er Jahre: vor allem in seiner kruden Mixtur aus Erotik und Albernheit, aus Pseudo-Aufklärung und sich antiautoritär gebender Rüpelkomödie.

Neben einigen Krimis und Schlagerfilmen ist er wahrscheinlich das genuin deutsche Äquivalent zum amerikanischen Exploitationkino: der Sexfilm in all seinen Facetten. Grindhouse-Exeget Quentin Tarantino hätte die seltsamen Perlen in diesem immer noch verpönten Genre sicherlich längst entdeckt, wäre er ein deutscher Cinephiler. Die renommierte britische Filmzeitschrift „Sight and Sound“ feierte jedenfalls kürzlich den obskuren deutschen Sexfilm Mädchen beim Frauenarzt als originellen film maudit des internationalen Schundkinos. Regisseur von Mädchen beim Frauenarzt ist Ernst Hofbauer, auch Spielleiter bei der schon legendären Schulmädchen-Report-Serie, die Wolf C. Hartwig produziert hat. Hofbauer versucht sich in Mädchen beim Frauenarzt geradezu als experimenteller B-Film-auteur: der ganze Film ist im point of view des Frauenarztes gedreht, das heißt, der Zuschauer fühlt sich in der Rolle des Gynäkologen. Was er bei dieser subjektiven Erzählperspektive zu sehen bekommt, ist aber eher harm- und belanglos. Denn Hofbauer ist wie viele seiner Kollegen von der deutschen Sexwelle vor allem ein Meister der bizarr-reizvollen Ankündigung. Was man tatsächlich zu sehen kriegt, ist nichts im Vergleich zur Erwartung, welche die Filme reißerisch erwecken.

Drüber, drauf und drunter
Der (Soft)Sexfilm der 60er und frühen 70er Jahre ist nicht mit dem pornografischen Film zu verwechseln. Alle Sexszenen sind nur gestellt, der sexuelle Akt wird nie vollzogen wie im Porno. Auch gibt es keine Großaufnahmen von erregten Geschlechtsteilen. Erst ab Mitte der 70er Jahre, nachdem sich schicke skandinavische und amerikanische Pornos auch bei uns durchgesetzt hatten, geht der Sexfilm bei manchen Produzenten in den langen Hardcorefilm über. Aber es waren relativ wenige professionelle Filmemacher, die diesen Wechsel wirklich vollzogen haben. Der bekannteste Crossover-Mann ist wohl Hans Billian, einer der wenigen echten Erotomanen des deutschen Kinos. Billian war in den 50ern Chefdramaturg bei der Constantin, in den 60ern hat er Lustspiele inszeniert, in denen er den Heimat- mit dem Schlagerfilm kombinierte. Das Spukschloss im Salzkammergut mit Udo Jürgens ist ein Beispiel hierfür.

Bald schon gesellt sich aus kommerziellen Gründen zur Heimat und zum Schlager der Sex: Die Jungfrauen von Bumshausen von 1969 etwa bezeichnet der Filmhistoriker Rolf Thissen in seinem Standardwerk „Pioniere und Prominente des modernen Sexfilms“ als „ersten deutschen Landschafts-Sexfilm“. Ein Dorf versucht darin sein „Fruchtbarkeitsklima“ touristisch auszuwerten. Von Billian stammt auch der Film mit dem unglaublichen Titel Oktoberfest – da kann man fest… Der Billian-Film Im Gasthaus zum scharfen Hirschen, produziert vom Münchner Sexfilm-Mogul Alois Brummer, über den wiederum Hans-Jürgen Syberberg die erhellende Dokumentation Sex-Business Made in Pasing gemacht hat, ist bereits in zwei Fassungen entstanden, einer soften und einer Hardcore-Version. Billians unzählige Hardcore-Filme, vor allem seine Josefine-Mutzenbacher-Extravaganzas, gelten wegen ihrer handwerklichen Perfektion und den ausgeklügelten erotischen Choreografien den Aficionados des Genres als Kultfilme.

Sexploitation
Der deutsche Sexfilm ist gewissermaßen das Kind des heimatlichen Lustspiels und des Aufklärungs- beziehungsweise Sittenfilms, wie er in Deutschland eine lange Tradition hat, angefangen bei Richard Oswalds oft in Zusammenarbeit mit dem berühmten Sexologen Magnus Hirschfeld entstandenen Filme wie Anders als die anderen oder Das gelbe Haus (beide 1919) bis zu Peter Pewas’ für die Defa gedrehten Strassenbekanntschaft, einem Nachkriegs-Film-noir über die Gefahr von Geschlechtskrankheiten.

Im Summer of Love von 1967 wurde ausgerechnet der im Grunde brave Aufklärungsfilm Helga – Vom Werden des menschlichen Lebens von Erich F. Bender, mit Ruth Gassmann in der Titelrolle, zum Überraschungshit; im selben Jahr und beinahe genauso erfolgreich kam auch der erste „Kolle“ in die deutschen Kinos: Oswalt Kolle: Das Wunder der Liebe – Sexualität in der Ehe, inszeniert von Regie-Routinier F.J. Gottlieb, der auch für einige Edgar-Wallace-Filme verantwortlich zeichnete. Die Kolle-Filme sind im Grunde Illustrierten-Kintopp, allesamt nach dem gleichen Muster gestrickt: Spielhandlungen werden von Kolle im On oder Off mit pseudowissenschaftlichen Kommentaren erläutert. Die Aufklärung findet also immer mehr im Wort als im Bild statt. Die Filme sind Dokumente ihrer Zeit, sie belegen aus heutiger Sicht mehr die sexuelle Verklemmtheit als den Aufbruch im Deutschland jener Jahre. Der progressivste und wohl beste Aufklärungsfilm der Zeit, die Grenzen der Sexualität auslotend, stammte vom dem deutsch-amerikanischen Sexualforscher-Paar Phyllis und Eberhard Kronhausen: Freiheit für die Liebe. Eberhard Kronhausen zu dem auch politisch verstandenen Film: „Es ist kein Aufklärungsfilm im üblichen Sinn, der über technische Dinge des Liebeslebens (wie Positionen) informiert. Es ist ein sozialkritischer, bewusst revolutionärer Film, der auf eine gesellschaftliche Neuordnung hinzielt“.

Aus dem Aufklärungsfilm à la Kolle heraus entwickelte sich das Genre der „Report“-Filme, unter denen die Schulmädchen-Reports die bekanntesten sind. Gerade im Gestus des Reports – der Schauspieler Friedrich von Thun führt im ersten Film der Serie als Reporter durch die Revue der Sex-Geschichten – behauptete sich das Kino als Ort der spektakulären Wahrheitsfindung, wo anscheinend unberührt von Politik, Religion oder dem auf wenige Programme beschränkten Fernsehen Tabuthemen populär behandelt wurden. Das sozialkritische Element wurde in fast allen Sexfilmen – wie verspielt, zynisch und oberflächlich auch immer – aufrechterhalten. Die Schulmädchen-Reports sind letztendlich Sexploitationfilme über bundesdeutsche Generationskonflikte.

Sex & the Seventies
Anfang der siebziger Jahre hatten sich neben den Report-Filmen (Ostfriesen-Report, Hausfrauen-Report, Krankenschwestern-Report etc.) diverse Subgenres des Sexfilms etabliert. Es gab die St. Pauli-Filme (mit dem Krimi verwandt), die Frau-Wirtin-Filme mit Terry Torday (österreichisch-ungarische Sex-Eskapaden, fast im Alleingang von Franz Antel fabriziert) und die absurd-derben Lederhosenfilme, deren aberwitzige Perle vom Fassbinder-Star Ulli Lommel stammt: der beinahe surrealistisch anmutende Jodeln is kaa Sünd. Weitere Nischengattungen waren die Schwedinnen-Filme (hauptsächlich produziert vom Schweizer Trash-Maestro Erwin C. Dietrich, der viel mit Ingrid Steeger arbeitete) und die von Franz Marischka gedrehte Ruhrpott-Saga Lass jucken, Kumpel nach dem volkstümlichen Sexbuch des Zechenkumpels Hans Henning Claer. Besonders die ersten zwei Teile dieser Serie haben sich als irrwitzige Trips ins Flokati-Nirwana der 70er Jahre mit freier Liebe vor der Schrankwand im Gelsenkirchener Barock bei Underground-Cineasten einen Namen gemacht. „Die Liebe und der Suff, die reiben den Menschen uff“ war das Motto der Filme, in denen der Zechenkumpel als Sex-Revoluzzer erschien. Neben Sexsternchen wie Birgit Bergen wirkt hier auch der kleine Rinaldo Talamonti mit, als komischer Latin Lover der Star in unzähligen Sexfilmen. Die Potenz der italienischen Gastarbeiter erklärt Talamonti, der heute als Promi-Wirt in München lebt, in Lass jucken, Kumpel folgerichtig: „Italienisch Mann nicht saufen wie deutsche Kumpels.“

Man hat das deutsche Kino der späten 60er und frühen 70er Jahre als eine Zeit im Kopf, die geprägt ist vom Gegensatz zwischen Opas Kino (zu dem die Sexfilme gerechnet werden) und dem Jungen Deutschen Film. Doch bei genauerer Betrachtung hat es damals doch viele Zwischentöne gegeben. Die brennende Langeweile manch früher Fassbinder-Filme ähnelt manchmal durchaus dem meditativ langsamen Sex einiger Trashfilme. Zudem gab es eine Reihe junger Filmemacher, die die Sexwelle gerade mitgetragen haben: Leute wie der unterschätzte Maran Gosov, der in München lockere Sexfilme im Stil der Nouvelle Vague (und von May Spils/Werner Enke) drehte wie Engelchen oder die Jungfrau von Bamberg mit Gila von Weitershausen (epd Film 6/07, S. 53). Gustav Ehmck, der später mit einer Hotzenplotz-Verfilmung bekannt wurde, machte schonungsloe pädagogische Sexfilme im kitchen-sink-Realismus wie beispielsweise Die Spalte (1970), der erst kürzlich im Münchner Werkstattkino wiederentdeckt wurde: ein zwiespältiger, drastischer Abgesang auf die Sexwelle anhand der modellhaften Geschichte eines von Zuhältern ausgenutzten jungen Mädchens.

Die auteurs des deutschen Sexfilms stammen freilich aus der Fraktion Opas Kino: Es sind wohl Adrian Hoven (Das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen), Alfred Weidenmann (Die Festung), auch der homosexuelle Camp-Meister Alfred Vohrer (Das gelbe Haus am Pinnasberg) und vor allem Rolf Thiele. Sicherlich würde es sich lohnen, ihr oft recht modernes Werk neu zu erkunden. Rolf Thiele, bekannt hauptsächlich durch Das Mädchen Rosemarie, hat in den frühen 70er Jahren die möglicherweise bizarrsten Filme in Deutschland gemacht: Ohrfeigen mit Curd Jürgens oder Undine ‘74, eine unglaubliche Märchenverfilmung im sexy 70er-Chic, seltsam oszillierend zwischen Dekadenz und Aufbruch.

Ende der siebziger Jahre ging es dann auch mit dem deutschen Sexfilm allerdings allmählich zu Ende, der Porno und der expandierende Videomarkt – vom Fernsehen ganz zu schweigen – hatten ihn überflüssig gemacht. In seinen letzten Zügen vermischt sich der Softsexfilm noch mit Disco- und Ferien- beziehungsweise Ibizafilmen, ein letzter bemerkenswerter Regisseur des Genres ist Sigi Rothemund, der Vater von Marc Rothemund, der jetzt mit Pornorama die Zeit der späten 60er Jahre wieder aufleben lässt. Sigi Rothemund, der bis heute gediegene Triest-Krimis mit Henry Hübchen für das Fernsehen macht, hat damals unter dem Pseudonym Sigi Götz Filme gedreht wie Drei Schwedinnen in Oberbayern (1977), Cola, Candy, Chocolate mit dem weiblichen Dreigestirn Olivia Pascal, Uschi Buchfellner und Dolly Dollar (1979) oder Griechische Feigen mit der schönen Betty Verges (1976). Das Pseudonym „Götz“ soll sich angeblich auf Götz von Berlichingen und sein berühmtes Zitat beziehen: für Filme, die dem Regisseur nichts bedeuten und nur aus kommerziellen Gründen gedreht wurden. Dabei muss sich Sigi Rothemund nicht schämen. Griechische Feigen zum Beispiel besitzt mehr cineastische Elemente als manch dröge TV-Krimiadaption.

Am 7.9. zeigt Arte einen Themenabend zum Sexkino der 60er: Von Sex bis Simmel und ein Porträt des Pornofilmers Lasse Braun.

epd Film 9/2007