Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen

Rolf de Heer widmet sich ein weiteres Mal den Erzählformen der Aborigines

von Hans Schifferle


© Fotos: Alamode

Es ist diese markante Stimme, deren ganz eigener Klang den Zuschauer von Anfang an in den Bann zieht. Es ist auch der ganz eigene Rhythmus der Sprache, der in Korrespondenz mit den soghaften Bildern von einer wilden Sumpf- und Flusslandschaft im Norden Australiens den Eindruck vermittelt, eine unberührbare, fremde Welt zu betreten. Etwas noch nie Gesehenes suggeriert uns Rolf de Heer in seinem neuen Film und betritt dabei das Terrain eines Werner Herzog oder Terrence Malick – in einer sehr verspielten und versponnenen Weise allerdings.

Die markante Erzählerstimme, sie gehört David Gulpilil, einem Aborigines-Starschauspieler, der uns vor allem aus Nicholas Roegs Walkabout bekannt ist. Die Sprache ist Ganalbingu, ein Aborigines-Dialekt, der sogleich verzaubert (und englisch untertitelt ist). Allein die häufige Nennung der Namen all der Figuren, die im Film vorkommen, stellt einen unglaublichen poetisch-musikalischen Rap dar: Ridjimiraril und Yeeralparil, Minygululu und Dayindi kommen vor, und der schönste Name lautet Birrinbirrin.

De Heers Film ist gewissermaßen eine Reflexion über organisches Erzählen, über Geschichten, die aus Land und Umgebung entstehen, aus dem Klang der Stimmen und Namen. Bis der Erzähler nun mit seiner Geschichte beginnt, das allein gestaltet de Heer als beinahe ironisch ausufernde Tour de Force. Narrative Brillanz wird hier quasi zum natürlichen Spezialeffekt. Einmal sogar wird auf Star Wars angespielt: „Once upon a time, in a land, far, far away.“ Der Erzähler berichtet dann zuerst von der Rahmenhandlung, die de Heer in Farbe darstellt: Vor gut 1.000 Jahren brechen zehn Männer vom Volk der Ramingining zur Enteneierjagd auf, unter ihnen zwei Brüder, das Greenhorn Dayindi und sein älterer Bruder. Der blutjunge Dayindi begehrt nun die jüngste der drei Frauen seines Bruders. Um den Youngster auf den richtigen Weg zu führen, oder auch nur, um ihn abzubringen von seiner Leidenschaft, erzählt ihm der erfahrene Bruder eine Geschichte. Während eines langen Jagdausflugs, zu dem auch der Bau von zehn Kanus gehört, erzählt er seine weit verzweigte Story in Episoden – wie eine Telenovela aus vergangenen Zeiten.

Diese eingebettete Geschichte spielt noch weiter in der Vergangenheit. Sie handelt von einem mächtigen Krieger, der ebenfalls drei Frauen hatte. Eines Tages verschwindet eine seiner Frauen spurlos. Der Verlust und das Geheimnis dieses Verlustes scheint ihn in den Irrsinn zu treiben. Diese Geschichte in der Geschichte zeigt uns de Heer zuerst in SchwarzWeiß. Dann gleichen die außergewöhnlich schönen Filmbilder einer paradiesischen Wildnis noch mehr den Fotografien des australischen Anthropologen Donald Thomson aus den dreißiger Jahren, die den gesamten Look des Films inspiriert haben. Sobald aber die Ereignisse der Story für die Rahmenhandlung, und darin natürlich besonders für den jungen Dayindi, wichtig und lebendig werden, kommt auch wieder Farbe in das Schwarz-Weiß.

Zwischen rustikalem Volksstück und großem Drama oszilliert die Geschichte, die Dayindi und uns Zuschauern erzählt wird. Man hat das Gefühl, als erlebe man den Alltag von Mythen mit. So erfahren wir nicht nur etwas von Mysterien und Besessenheit, von Rache, Mord und Erlösung. Wir erleben beispielsweise auch mit, wie ein Mann dick geworden ist durch seine Sucht nach Honig. Und wir sehen, wie man damals sein Geschäft verrichtete in freier Natur.

Teils Komödienstadl, teils Nibelungenlied der Aborigines: der Suspense bleibt bis zum Schluss in doppelter Hinsicht erhalten. Wie geht die Story um den Krieger und seine vermisste Frau aus? Und warum wird sie dem jungen Dayindi erzählt? Möglicherweise nur, um ihm Geduld beizubringen. Die narrative Kunst, sie hat in de Heers eigentümlicher Reminiszenz an eine Neue Welt die Kraft einer schönen Droge.          

Aborigines-Saga aus dem Norden Australiens, eigentümlich schwankend zwischen Ethnografie, Abenteuer und Soap-Opera. In wunderschönen Bildern und klangvoller Aborigines-Sprache beschwört de Heer die Magie eines fast organischen Erzählens.

Ten Canoes
Australien 2006. R: Rolf de Heer. B: Rolf de Heer und die Einwohner von Ramingining. P: Rolf de Heer, Rulie Ryan. K: Ian Jones. Sch: Tania Nehme. M: Steven Willinydjanu Maliburr, Rupert Gaykamangu, Kelvin Dangawarra Gaykamangu, Roy Gaykamangu, Richard Birrinbirrin, Billy Black u.a. T: Rory McGregor. A: Beverley Freeman. Pg: Palace/Fandang/Vertigo. V: Alamode. L: 91 Min. Da: Crusoe Kurddal (Ridjimiraril), Jamie Dayindi Gulpilil Dalaithngu (Daylindi/Yeeralparil), Richard Birrinbirrin (Birrinbirrin), Peter Minygululu (Minygululu), Frances Djulibing (Nowalingu), David Gulpilil Ridmimiraril Dalaithngu (Erzähler), Sonia Djarrabalminym (Banalandju).

epd Film 8/2007



Start: 9.8. (D)