Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  Pingpong

Trauer und erste Liebe im Filmdebüt von Mathias Luthardt

© Fotos: Arsenal

Jederzeit, haben Onkel Stefan und seine Frau Anna zu Paul nach der Beerdigung seines Vaters gesagt, könne er vorbeikommen. Nun steht der 16-jährige Paul in den Sommerferien vor der Tür ihres Bungalows und wird mit schrägern Blicken und einem unbequemen Schlafsessel bedacht. Weiß seine Mutter, wo er ist? Hätte er nicht anrufen können? Ist sein Kommen ein Friedensangebot?

Die Fragen, die am Anfang von Matthias Luthardts Pingpong auf den sturen Jungen einprasseln, sind streng genommen Antworten. Anstelle einer Vorerzählung, die die maroden Verhältnisse aufklärt, sprechen die Antwort-Fragen von vorangegangenen und akuten Zerwürfnissen. Pauls Mutter, so wird einem auf elegante Art und Weise nahegelegt, überfordert den Jungen mit Trauer und Gleichgültigkeit. Von seinem Onkel und der Tante erwartet Paul kaum mehr Verständnis. Was aber hat es mit dem Friedensangebot auf sicht?

Die Benennung und Bewältigung verdrängter Kränkungen gehören zum Repertoire etlicher Familienfilme. Das Drehbuch von Meike Hauck und die nicht minder sensible Regiearbeit des 1972 geborenen Regisseurs umgehen derartige Erlösungsfantasien mit erstaunlichem Geschick. Die Liebe zum Film, so der Regisseur in einem Interview mit Caroline Elias von den Französischen Filmtagen Tübingen, habe er als Zwanzigjähriger in Frankreich aufgesogen. Dieser Einfluss ist in Pingpong überdeutlich. Die Dramaturgie des sich unmerklich zuspitzenden Films lässt vieles offen und noch viel mehr zu. Die Ausgangssituation ist nicht originell: Ein Rebell, Sohn eines Versagers oder in diesem Fall eines Selbstmörders, dringt in eine gutbürgerliche Idylle ein und bringt mit anarchischem Trotz verborgene Konflikte ans Tageslicht. Der Verlauf der innerfamiliären Implosionen folgt auch in Pingpong der Logik wechselnder Bündnisse. Doch die Intensität, mit der sich Überforderung und psychische Abhängigkeiten herauskristallisieren, sprengt das Genre des heilsamen Familiendramas. 

Zunächst kommen sich Paul und sein klavierspielender Cousin Robert näher. Robert, der seine ebenso ehrgeizige wie eifersüchtige Mutter Anna am Klavier längst übertroffen hat, bezieht Paul in seinen Widerstand ein. Gemeinsam spielen die Jungen Pingpong, das Spiel, das sich mit Kindheitserinnerungen verbindet, und treffen dabei vor allem Anna. Doch die erfolgshungrige Frau, die mit dem Zucker aus ihrer Küche auch das süße Leben verbannt hat, reagiert prompt. Zunächst sind es nur Spaziergänge, bei denen Paul mitlaufen darf wie Annas Hund Schumann. Der Name „Schumann“ verrät nicht nur Annas musikalische Anmaßung, sondern auch eine ungesunde Verehrung für das Tier, das zu seinem Geburtstag Sekt zu saufen bekommt. Im Kampf gegen Robert, der sich ihr entzieht, und die Saturiertheit ihres ewig abwesenden Mannes lässt sich Anna auf Pauls Begehren ein. Bald darauf muss Paul entdecken, dass Annas Liebe weiterhin ihrem Hund und ihre Loyalität ihrem Mann gilt. Am Ende werden alle Allianzen aufgekündigt. Und jeder wird etwas verlieren, das er liebt.

Heike Kühn

Die Geschichte eines 16-Jährigen, der nach dem Selbstmord des Vaters bei verwandten Zuflucht sucht, wird sensibel und zugleich intensiv erzählt. Ein Drama der Empfindsamkeit.

Deutschland 2005. R: Matthias Luthardt. B: Meike Hauck, Matthias Luthardt. P: Niklas Bäumer, Anke Hartwig. K: Christian Marohl. Sch: Florian Miosge. M: Matthias Petsche. T: Jacob Ilgner. A: Friederike Hagen. Ko: Andrea Schein. Pg: Junifilm/MDR/HFF „Konrad Wolf“/Koppmedia. V: Arsenal. L: 89 Min. Da: Sebastian Urzendowsky (Paul), Marion Mitterhammer (Anna), Clemens Berg (Robert), Falk Rockstroh (Stefan), Arko (Schumann).

epd Film 11/2006



Start: 16.11. (D)