Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  Miami Vice

Jamie Foxx und Colin Farrell in Michael Manns Kinoversion der TV-Serie

© Fotos: UIP

Wer an Miami Vice denkt, hat sofort die Achtzigerjahre vor Augen – Hemden aus gewaschener Seide, pastellfarbene Anzüge, Männer in Slippers (ohne Socken, versteht sich). Dazu Phil Collins' Synthesizer-Pop im Ohr und einen Bacardi-Cocktail in der Hand. Außer Brian De Palmas stilbildendem Kultklassiker Scarface hat kein Film und keine TV-Serie das vorvergangene Jahrzehnt so gut auf den Punkt gebracht wie die von Michael Mann und Anthony Yerkovich konzipierte Cop-Serie. Jetzt hat Mann die Show fürs Kino adaptiert – und nichts ist mehr so, wie es war.

 

Schon immer hatte man in Interviews mit Michael Mann das Gefühl, dass er sich ein wenig schämte für die „Trivialität“ und den „style“ der Serie, die seinen Namen populär machte. Und er hat von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass die Kinoversion jenseits des Titels und der beiden Hauptfiguren nichts mehr mit der Vorlage gemein haben würde. Im Klartext heißt das: kein Don-Johnson-Cameo, kein Hausboot mit Alligator, kein Jan-Hammer-Score und vor allem – keine Pastelltöne. Das spricht nicht unbedingt für Michael Manns Humor, und am liebsten würde man ihn fragen, ob es nicht etwas albern ist, seinen nachtschwarzen Film überhaupt noch Miami Vice zu nennen. Andererseits war Mann schon immer ein Regisseur, der es darauf anlegt, die Erwartungen des Publikums zu unterlaufen. So hat man bei Miami Vice das Gefühl, dass die Erinnerung an die Serie nur ein Mittel zu dem Zweck ist, ein möglichst großes Publikum in einen Film zu locken, der in vielerlei Hinsicht nicht den üblichen Sommer-Blockbuster-Konventionen folgen mag. Was die Story betrifft, ist Miami Vice ein ganz und gar klassischer Genrefilm: Sonny Crockett und Ricardo Tubbs, mit Colin Farrell und Jamie Foxx exzellent besetzt, sollen in einer groß angelegten Undercover-Mission einem lateinamerikanischen Drogensyndikat das Handwerk legen. Dabei verliebt sich Crockett in die chinesische Unterhändlerin und Geliebte (Gong Li) des machtvollen Drogenbarons, wodurch seine Integrität als Polizist schwer ins Wanken gerät. So weit, so trivial. Was den Film nun von Action-Trash wie Bad Boys unterscheidet, ist der unerhörte Stilwillen, mit dem Mann seine Geschichte inszeniert. Miami Vice sieht aus wie ein 150 Millionen Dollar teurer Experimentalfilm – eine audiovisuelle Collage aus hyperrealen digitalen Nachtaufnahmen, monströsen Hightech-Waffen, schnittigen Speedbooten und mystischem Cop-Fachjargon (was in der bemerkenswert schwachen Synchronfassung allerdings völlig verloren geht).

Gepaart mit den atemberaubend choreografierten Actionszenen könnte einem das als Kontrast zu ästhetischer Fließbandware wie Superman Returns und Fluch der Karibik 2 vollauf genügen. Mit seinem bisherigen Werk aber hat Michael Mann die Latte ungemein hoch gelegt. Und mit Miami Vice gelingt es ihm weder dem Polizeifilm noch seinem eigenen filmischen Kosmos eine neue Dimension hinzuzufügen. Vielmehr greift er diesmal auf ein Repertoire aus Motiven, Situationen und Charakteren zurück, die er in Filmen wie Heat, The Insider oder Collateral schon weit überzeugender entworfen hatte. Eine ganze Reihe von Szenen sind einstellungsgetreu aus früheren Mann-Filmen übernommen.

Was den Situationen diesmal aber fehlt, ist eine Motivation, ein Kontext, der ihnen in den anderen Filmen erst ihre emotionale Kraft gab. Denn um als rein formales Experiment in ultramoderner HD-Video-Ästhetik zu funktionieren, hängt Miami Vice dann doch zu sehr an seiner „Story“. Gerade die narrative Ebene jedoch behandelt der Perfektionist Mann mit provozierender Nachlässigkeit. Anders als seinen früheren Filmen mangelt es Miami Vice an erzählerischer Präzision und dramaturgischer Dringlichkeit. Über weite Strecken verläppert sich der Film in einer Vielzahl von unplausiblen Nebenhandlungen, exotischen Schauplätzen und lustlos skizzierten Charakteren; die enge, homoerotisch aufgeladene Partnerschaft von Crockett und Tubbs ist einem distanzierten, pubertären Machismo gewichen, den Mann tatsächlich ernst zu meinen scheint (mit starken Frauenfiguren kann er dagegen nicht halb so viel anfangen wie sein Genre-Kollege Walter Hill); hochkarätige Darsteller wie Ciriàn Hinds und der wunderbare Barry Shabaka Henley werden zu Stichwortgebern degradiert. Und immer wieder gibt es Szenen wie die wildromantische Speedboot-Fahrt von Farrell und Gong Li, in denen man zwar genau merkt, was man eigentlich fühlen soll – doch man fühlt es einfach nicht.

Eines aber muss man dem Film lassen: Mit seinen hypnotischen Natur- und Stadtimpressionen wirkt er, als hätte Terrence Malick einen urbanen Thriller gedreht – sein Einfluss jedenfalls ist in den langen Einstellungen auf Wolkenformationen, Wasserfälle und sturmgebeugte Palmen unverkennbar. Anders als der nach Transzendenz strebende Malick scheint Mann freilich vor allem darauf aus zu sein, dass man seine visuelle Virtuosität bewundert.

Gerade aber durch seine fahrige Unentschiedenheit zwischen actionbepackter Jungs-Fantasie (man fühlt sich irgendwie breitschultriger, wenn man das Kino verlässt) und eigensinnigem Kunstkino setzt sich Miami Vice als bizarrer Film-Torso in der Erinnerung fest. Da gibt es Szenen wie den schockierenden, völlig überraschenden Suizid eines verzweifelten V-Mannes, die einem einfach nicht aus dem Kopf gehen. Und auf der anderen Seite Dialoge, die so prätentiös existenzialistisch sind, dass man am liebsten den Ton im Kino abdrehen würde. In seinem Manierismus ist Miami Vice ein faszinierender und zugleich extrem frustrierender Film. Ich kann es nicht erwarten, ihn noch einmal zu sehen.       

Kai Mihm

Millionenschwerer Experimentalfilm oder überkandidelter Action-Trash? Mann spielt mit seinem Ruf als Auteur des Genrekinos und beschert nicht nur Fans des Originals eine zwiespältige Seherfahrung.

Miami Vice
USA 2006. R und B: Michael Mann (nach der TV-Serie von Anthony Yerkovich). P: Pieter Jan Brugge, Michael Mann. K: Dion Beebe. Sch: William Goldenberg, Paul Rubell. M: John Murphy. T: David Ronne. A: Victor Kempster, Carlos Menéndez. Ko: Janty Yates. Sp: R. Bruce Steinheimer, Robert Stadd. Pg: Universal/Motion Picture Eta/Forward Pass. V: UIP. L: 132. FSK: 16, ff. Da: Colin Farrell (Sonny Crockett), Jamie Foxx (Ricardo Tubbs), Gong Li (Isabella), Naomie Harris (Trudy Joplin), Ciarán Hinds (Fujima), Justin Theroux (Zito),Barry Shabaka Henley (Castillo), Luis Tosar (Montoya).

epd Film 9/2006



Start: 24.8. (D, Ch), 25.8. (A)