Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  Bye Bye Berlusconi!

Satire von Muxmäuschenstill-Darsteller Jan Henrik Stahlberg

© Fotos: Filmwelt

Jan Henrik Stahlberg hat sich mit der Rolle des „Herrn Mux“ unter der Regie von Marcus Mittermeier in Muxmäuschenstill einen Namen gemacht. Im wahrsten Sinne des Wortes, wie man so sagt, denn seine Darstellung des erbarmungslos-verbissenen Weltverbesserers (auch das Drehbuch hatte er geschrieben) war so beeindruckend, dass einem die Figur sofort wieder in den Sinn kommt, sobald Stahlberg auf der Leinwand erscheint. Das aber kann nur mit zwiespältigen Gefühlen verbunden sein, schließlich war Muxmäuschenstill das Porträt eines Mannes, der sich allzu sehr im Recht glaubt. Letzteres trifft auch auf Silvio Berlusconi zu. Aber Bye Bye Berlusconi! ist Gott sei Dank sehr viel weniger vorhersehbar als der Titel glauben macht. Er handelt nämlich weniger vom bösen Berlusconi und guten Filmemachern, die sich was trauen, als vielmehr von einer Meute von Rechthabern, die trotz sicherer Überzeugungen immer kleinlauter werden.

Bei der Meute handelt es sich um eine Filmcrew in Genua, die sich für den politischen Kampf mit dem als korrupt verrufene italienischen Ministerpräsidenten etwas ganz Besonderes ausgedacht hat: Sie wollen einen Film drehen, der die Entführung Berlusconis durch eine Gruppe zeigt, die das Ziel hat, ihm im Internet den Schauprozess zu bereiten. Doch bereits am ersten Drehtag kommen dem Produzenten große Bedenken: Sein Rechtsberater meint, man dürfe Berlusconi auf keinen Fall beim Namen nennen, sonst würde der Film sofort verboten. Die Crew berät, wie zu verfahren wäre. Eine Mitarbeiterin schlägt vor, ihn „Silvio Rossi“ zu nennen, sie fände das witzig. Keiner lacht.

Die wiederkehrenden Diskussionen der Filmcrew bilden in gewisser Weise das Herzstück des Films, der in verwirrender Weise mit seinen verschiedenen Erzählebenen von Realität und Fiktion arbeitet. Aufnahmen rund um die Dreharbeiten mischen sich nicht immer durchschaubar mit denen des eigentlichen Films, der von der Entführung handelt. Aber wenn die Produzenten, der Regisseur und diverse Darsteller und Drehbuchautoren zusammensitzen und wild durcheinander reden, glaubt man sich fast in einem Dokumentarfilm, so authentisch ist die typische Atmosphäre von schlechter Laune, gegenseitiger Herablassung und allgemeiner Ermüdung unter idealistischen Selbstausbeutern wiedergegeben. Ihren besonders irritierenden Charme erhalten diese Aufnahmen dadurch, dass, wann immer der Name „Berlusconi“ fällt, ein Beep ertönt, währenddessen als Crewmitglied ein grinsendes Berlusconi-Double am Tisch sitzt.

Angeregt vom Micky-Maus-Heft seines kleinen Sohnes kommt dem Regisseur nämlich die rettende Idee, seinen Hauptprotagonisten „Micky-Laus“, zu nennen und aus ihm den „Bürgermeister“ von Hühnerhausen, Herrscher über den Sender „Melonen-TV“ zu machen. Die Szenen, die zeigen, was dieser Fernsehsender so in den Äther schickt, gehören zu den satirischen Höhepunkten des Films: Da gibt es die Werbung mit anzüglich agierenden jungen Frauen, die dümmlich-einseitige Berichterstattung über die Entführung und vor allem den Irrsinn der ständig durchs Bild laufenden Schrift-Bänder, die dazu aufrufen, das Lied des entführten Bürgermeisters als Klingelton fürs Handy herunterzuladen.

Auf beiden Ebenen, der der Dreharbeiten und der der Entführung, spitzt sich die Lage immer mehr zu, wobei Autor und Regisseur Stahlberg zu zeigen versucht, wie die Angst vor politischer Verfolgung auch zur „self-fullfilling prophecy“ werden kann. Dass Bye Bye Berlusconi! so kurz vor den Parlamentswahlen in Italien in die Kinos kommt, ist eigentlich schade, denn wer wird sich nach einer möglichen Abwahl des Mannes noch für den Film interessieren? Und wird er wiedergewählt, wird der Film, zumindest in Italien, wahrscheinlich doch noch verboten. Und dafür ist er doch eigentlich zu harmlos in der Satire. Für notorische Rechthaber ist das eine missliche Lage.

Barbara Schweizerhof

Ein Filmteam will Italien über Berlusconis Machenschaften aufklären und inszeniert dessen Entführung. Der erste Film von Jan Henrik Stahlberg mischt Realität und Fiktion zu einer Mediensatire – mit jeder Menge Anspielungen.

Deutschland 2005. R: Jan Henrik Stahlberg. B: Lucia Chiarla, Jan Henrik Stahlberg. P: Martin Lehwald. K: Nicolas Joray. Sch: Nicola Undritz. M: Phirefones, Rainer Oleak, Banda Degli Ottoni. T: Sebastian Riegel. A: Yasmin Khalifa, Carola Gauster. Ko: Elke Zetl. Pg: Schiwago. V: Filmwelt. L: 92 Min. FSK: 12, ff. DEA: Berlinale 2006. Da: Maurizio Antonini (Maurizia/Topolino), Lucia Chiarla (Lucia/Daisy), Fabio Bezzi (Anwalt), Franco Leo (Produzent), Jan Henrik Stahlberg (Regisseur) und Pietro Bontempo, Pietro Ragusa.

epd Film 4/2006



Start: 30.3. (D)